
SHELLY MANNE AND JACK MARSHALL – Sounds Unheard Of!
1962/2024 (Analogue Productions/Contemporary Records) - Stil: Space Age
„Klang um der Musik willen“ – Shelly Manne & Jack Marshall mischen auf
Vergiss alles, was du über Jazz-Duos zu wissen glaubst. Dieses Album von Shelly Manne und Jack Marshall ist alles andere als gewöhnlich. Es ist ein musikalisches Abenteuer, das zwei echte Könner in ihrem Bereich zeigt. Mit einer Mischung aus Neugier, Technik und ein bisschen Wahnsinn erweitern sie die Grenzen des Jazz.
Was hier aus den Lautsprechern kracht, klingt fast so, als hätte ein Zirkusorchester eine Klangmeditation im Dschungel inszeniert. Es ist alles sehr durchdacht, auch wenn sie mit ungewöhnlichen Dingen wie Gummibällen und Aschenbechern musizieren. Es geht hier um Musik, nicht um Effekte.
Zwei Klangtüftler mit Geschichte
Shelly Manne ist ein Veteran der Westcoast-Szene und spielte in Bands von Stan Kenton und Woody Herman. Sein Schlagzeug erzählt Geschichten. Jack Marshall ist ein talentierter Gitarrist, Arrangeur und Studiomusiker, der für viele Künstler gearbeitet hat. Seine Gitarre bringt viel Atmosphäre und Humor mit.
Auf diesem Album präsentieren sie zwölf Jazzstandards in neuem Licht – mal sanft, mal verspielt, mal verrückt, aber immer gut durchdacht. Das Schlagzeug wird zum Farbenkasten und die Gitarre zur Bühne. Und das Faszinierende: das schaffen wirklich nur zwei Musiker ohne Overdubs.
Zwölf Stücke, zwölf kleine Welten
Der erste Song ´Poinciana´ hat sofort einen besonderen Klang: anstelle des typischen Swingbeats gibt es Boo-Bams und Kastagnetten, türkische Fingerzimbeln und hawaiianische geschlitzte Bambusstäbe. Es fühlt sich mehr nach einer musikalischen Reise in den Süden an, mehr nach Marimba, nach Matador und Stierkampf. ´My Funny Valentine´ verwandelt sich in eine träumerische und dennoch metallische Klanglandschaft mit Daumenklavier, chinesischen Windspielen, indischen Elefantenglocken, Triangel und Gong. Jack Marshall zitiert einen Gitarrenklassiker und Shelly Manne bringt sein Drumset zum Schwingen.
In ´The Continental´ spielt Bewegung mit treibenden Tomtoms, Basstrommeln, Becken und einem Groove, der zwischen Jazzclub und Rumba schwankt, eine große Rolle. Dagegen ist ´By Myself´ ein lustiges Klangspiel mit Gummibällen und Aschenbechern, Metallstricknadeln und Mikrofonständern, das spannend und charmant klingt, und ´Stormy Weather´ ein akustisches, das Erinnerungen an Regen mit sanften Geräuschen weckt. In ´Begin The Beguine´ wird’s besonders kreativ: Shelly Manne bearbeitet Marshalls Gitarre mit Paukenstöcken, High-Hat-Becken und einem Tambourin-Schellenstock, während es aussieht, als wären Cole Porter und John Cage zusammen am Werk.
´Night And Day´ startet mit Steel Drums, holt danach Harfe und einen indianischen Tomtom-Schlägel ins Spiel, und klingt dennoch entspannt und witzig. Hernach bringt ´Makin’ Whoopee´ ein klassisches Jazzgefühl mit viel Rhythmus und einer charmanten Ironie zusammen, während ´I’ll Remember April´ mit komplexen Rhythmen und einer Maraca ein Latin-Flair beisteuert. ´The Piccolino´ klingt beinahe genauso wie ein kleiner Jahrmarkt mit Ziegenglocke und Kuhglocke, Triangeln und Basstrommeln scheppern würde. ´The Boy Next Door´ ist nicht nur mit Glockenspiel und Triangel zart und klingt wie Glas, sondern einfach nur schön, ebenso wie ´Temptation´ mit vielen verrückten Klängen abschließend hypnotisch wirkt.
Musik mit Ohren und Augenzwinkern
Ursprünglich als Testplatte für High-Fidelity-Anlagen ersonnen, präsentiert ´Sounds Unheard Of!´ eine unglaubliche Klangvielfalt, die HiFi-Junkies nutzten, um ihre Systeme zu justieren.
Doch dieses Album ist kein Trick – es ist Kunst. Es ist ein klangvolles Erlebnis und macht einfach Spaß. Shelly Manne und Jack Marshall schaffen experimentellen Jazz, der locker bleibt. Die Musik bringt dich zum Lächeln, nicht weil sie albern ist, sondern weil sie clever und verspielt ist.
Wenn du denkst, Jazz ist ernst oder nur Unterhaltung – hier bekommst du beides. Ist es ein Geheimtipp? Vielleicht. Ist es ein Meisterwerk? Auf jeden Fall.