GILLIAN WELCH – The Harrow & The Harvest

2011/2025 (Acony Records) - Stil: Folk

Michael Haifl25. März 2025

Seit mehreren Jahrzehnten lebt Gillian Welch ihren musikalischen Traum. Sie zog aus diesem Grund dereinst nach Nashville, Tennessee, und fand in David Rawlings ihren musikalischen Partner. Ihre perfekt harmonierenden Stimmen, ihre biblische Bildsprache und ihre originellen Songs zogen auch schnell die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich.

Ihr erstes Album ´Revival´ (1996) nahmen sie mit T-Bone Burnett auf, ihr zweites ´Hell Among The Yearlings´ (1998) vertiefte sich in düsterer und karger Atmosphäre mit entsprechenden Storys. Nach ihrem vierten Album ´Soul Journey´ (2003), bei dem sie auch Schlagzeug, E-Gitarren und andere Instrumente zuließen, experimentierten sie allerdings jahrelang mit Sounds und Songs, ohne an ein künstlerisches Ziel zu gelangen. Erst nach acht Jahren fanden sie aus diesem kreativen Tief mit reduzierten und intimen Kompositionen heraus. In nie zuvor gekannter Verbundenheit komponierten sie ihr fünftes Studioalbum: ´The Harrow & The Harvest´ (2011).

Dieses Wunderwerk fühlt sich wie die Essenz ihres bisherigen Schaffens an. Die Instrumentierung ist spartanisch gehalten, meist nur Gitarren, Banjo, Mundharmonika, die Lieder sind rätselhafte und melancholische Geschichten, die von Geduld, Reife und der Beharrlichkeit zeugen. Gleichwohl steckt in ihnen eine emotionale Tiefe. Feine Melodien, mit Elementen aus Folk, Bluegrass und Country, entfalten dabei eine lang gereifte, magische Wirkung, wenn David Rawlings’ Gitarrenspiel die Stimme von Gillian Welch intuitiv umschmeichelt.

Der unheilvoll düstere Opener ´Scarlet Town´ trägt dunkle Schicksale und Geheimnisse im Herzen. Verrat und Tod liegen eng beieinander, eine geplatzte Hochzeit und eine Botschaft aus dem Jenseits (“I’ll be looking through a telescope from hell to Scarlet Town.”). Dagegen betrachtet das melancholische ´Dark Turn Of Mind´ die Narben der Vergangenheit, ohne sich aus der Finsternis, Schwermut und dunklen Aura heraus zu sehnen (“You’ll never know how happy I’ll be when the sun’s going down”). ´The Way It Will Be´ sieht sich hernach Auge in Auge mit den Entscheidungen des Lebens konfrontiert, mit Verlust und Verrat, Erschöpfung und Enttäuschung.

In einem äußerst lakonischen Erzählstil prägen die Vergänglichkeit von Freundschaften, haufenweise Schicksalsschläge und Tragödien das Leben von ´The Way It Goes´, denen sich der Erzähler bereitwillig hingebt. Nach einem einfacheren Leben sehnt sich dieser allerdings in ´Tennesse´, singt vergnügt (“Fa la li li, fa la li lee. Now let me go, my honey-o, back to Tennessee.“) und strebt nach menschlichem Vergnügen, obwohl die moralische Sünde bereits im Nacken lauert. Nostalgisch wandern sodann die Erinnerungen an Kindheit und Heimat in ´Down Along The Dixie Line´ mit der Hoffnung auf eine neue Heimat.

Die ´Six White Horses´ umschreiben demgegenüber die Ankunft des Todes, unausweichlich auch für die eigene Mutter, und vermitteln eine todtraurige Atmosphäre. Den unbedingten Überlebenswillen bekräftigt trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen wiederholt ´Hard Times´, die Suche nach Erlösung und Freiheit betont ´Silver Dagger´ beim Kampf in metaphorischer Dunkelheit. Unvermeidliche oder unabänderliche Geschehnisse beschreibt ´The Way The Whole Things Ends´ letztlich in schmerzhaften Momenten und bei aller Bitterkeit.

´The Harrow & The Harvest´ ist das große Meisterwerk von Gillian Welch und David Rawlings. Die Reduzierung auf das Wesentliche und das Minimalistische, auf ihre Stimmen und akustischen Instrumente, verleiht den Kompositionen eine besondere Intimität, mit der der Hörer Song für Song in eine andere Welt entführt wird. Diese zerbrechliche und emotionale Stimme trägt dabei in der Tradition der großen Singer-Songwriter äußerst ergreifende und poetische Texte über die Wahrheiten des Lebens vor. In aller Einfachheit und tief berührender Ehrlichkeit zelebrieren Gillian Welch und David Rawlings in ihrem eigenen und unverwechselbaren Stil ein Meisterwerk für die Ewigkeit.

(Klassiker)

Aufgenommen in den “Woodland Sound Studios” in Nashville, Tennessee, produziert von David Rawlings, gemastert vom analogen Originalband, gepresst bei “Paramount Pressings” in Denver.