
Für die Progressive Rock-Szene rückte der Musiker und Komponist Steven Wilson nach seinem 2013er Meisterwerk ´The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)´ und spätestens nach dem 2015er Werk ´Hand. Cannot. Erase´ immer mehr in die Bedeutungslosigkeit. Auch wenn seine nachfolgenden Werke von einer gewissen experimentellen Neugier geprägt waren, glitten die stilistischen Veränderungen seines verbliebenen Artrock mit steigender Tendenz in Richtung des Mainstreams.
Nach zehn Jahren der fehlenden Relevanz zum Progressive Rock veröffentlicht Steven Wilson in diesen Tagen sein neuestes Solo-Werk unter dem Titel ´The Overview´. Auf seinem mittlerweile achten Soloalbum kehrt er dabei überraschend zu seinen Wurzeln im Progressive Rock zurück, denn es setzt sich bereits grundlegend in vollkommen klassischer Art und Weise aus zwei epischen Tracks zusammen: dem 23-minütigen ´Objects Outlive Us´ und dem 18-minütigen ´The Overview´. Obwohl beide Kompositionen in mehrere Abschnitte unterteilt sind, entfalten sie sich doch fließend als zusammenhängende musikalische Reise.
Inspiration fand Steven Wilson dabei im sogenannten „Overview-Effekt“, einem Bewusstseinswandel, den Astronauten beim Betrachten der Erde aus dem All erleben. Denn Astronauten berichten anschließend von einer neuen Sichtweise auf die Menschheit, von einer gesteigerten Wertschätzung und größeren Verbundenheit mit dem Planeten. Vor diesem Hintergrund unternimmt Steven Wilson auf seinen zwei ausgedehnten Kompositionen eine Reise durch Raum und Bewusstsein.
Standen auf den letzten Soloalben von Steven Wilson noch Experimente mit Pop und Elektronik im Mittelpunkt, kann ´The Overview´ tatsächlich als eine Rückbesinnung auf die klassische Progressive Rock-Tradition angesehen werden. Die Lieder sind von weitläufigen Klanglandschaften, dynamischen Wechseln und virtuosem Instrumentalspiel geprägt. Sanfte, sphärische Passagen gehen in komplexe, rhythmisch vertrackte Abschnitte über, während Synthesizer-Flächen und Mellotron-Klänge an die goldene Ära des Prog erinnern.
´Objects Outlive Us´ hat die Vergänglichkeit des Menschen vor Augen und erzeugt letztlich fast eine sakrale Atmosphäre. Die Komposition entwickelt sich aus ruhigen, melancholischen Klavierakkorden mit Steigerungen ganz im Sinne von PORCUPINE TREE zu einem orchestralen Arrangement, das sich mit einem schnittigen Gesangsvortrag abermals emporstreckt, um zum Ausklang wieder zur Sanftheit im Gesang und den melancholischen Klavierakkorden zurückzukehren.
´The Overview´ hat hingegen die Schönheit der Erde in der Unendlichkeit des Universums vor Augen und verdeutlicht den „Overview-Effekt“ am Schluss mit einem gewaltigen orchestralen Crescendo. Diese Komposition beginnt mit sphärischen Klängen und berücksichtigt ebenso Elemente der klassischen elektronischen Musik. Sie wandert durch das von Steven Wilson nicht erstmals erkundete Prog Rock-Universum, sogar mit Unterstützung seiner Ehefrau Rotem Wilson im Wissenschaftsvortrag.
Daneben hat sich Multiinstrumentalist Wilson (Gitarre, Bass, Keyboards, Schlagzeug, Klavier, Orgel) wieder einmal mit hochkarätigen Musikern umgeben: Keyboarder Adam Holzman, Gitarrist Randy McStine, Schlagzeuger Craig Blundell, Saxophonist Theo Travis und Bassist Nate Wood. Bemerkenswerter Weise hat Andy Partridge von XTC aktiv an der lyrischen Gestaltung des Werkes mitgewirkt.
Steven Wilsons neuestes Solo-Werk ´The Overview´ scheint wie aus dem Lehrbuch des Progressive Rock gefallen. Vielleicht ist es auch schlicht seine Hommage an den Progressive Rock, die er in einem emotionalen Werk über unsere Beziehung zur Erde und zum Universum umgesetzt hat.
(9 Punkte)