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LACRIMOSA – Lament

2025 (Hall Of Sermon) - Stil: Sinfonic-Goth-Rock-Metal

Die Nacht neigt sich dem Ende zu. Der Morgen graut. Die letzten Schatten der dunklen Nacht säuseln noch ihre Lieder, doch der Morgen erscheint am Horizont still, hoffnungsvoll und unwiderruflich – mit ihm das 15. Studioalbum von LACRIMOSA.

Das große Finale der Sturm-Trilogie

´Lament´ ist der letzte und fehlende Baustein, um die 2017 mit ´Testimonium´ begonnene und 2021 mit ´Leidenschaft´ fortgesetzte Trilogie zu vollenden. Dieses Werk beendet eine lange Reise voller Trauer, Hingabe und erhoffter Erlösung.

Doch die emotionsreiche Odyssee von Tilo Wolff und LACRIMOSA dauert bereits 35 Jahre an, auf der er seine Ziele kompromisslos und leidenschaftlich verfolgt. Mit Anne Nurmi an seiner Seite hebt er abermals, wenn der Tag die ersten Schatten wirft, auf schwarzen Schwingen in schwindelerregende Höhen ab.

Denn ´Lament´ ist mehr als der letzte und fehlende Stein eines Denkmals oder einer Grabfigur. ´Lament´ bringt die Hoffnung zum Aufflammen, es ist der Streif am Horizont beim Übergang aus der Dunkelheit in das Licht.

Die musikalische Reise

Ein Gebet. Ein Epilog für das Leben. Ein Prolog für ´Lament´. Über zehn Minuten lang wankt der Titelsong ´Lament´ in seiner zerbrechlichen Intimität, um sich vorübergehend in einer symphonischen Katharsis zu entladen. Wie das Flüstern in der Stille, in der Einsamkeit, klingt Tilo Wolff als Protagonist aus seiner eigenen Welt, gefangen oder abgeschottet von der restlichen Welt: “Ich bin so weit weg, von allem, das ich mir erträume, wann und wo ich bin, ich hab’ Angst, das alles Gute ich versäume.” Sein letzter Lichtblick scheint dabei ein Riss in seiner Welt.

Doch selbst die reale Welt befindet sich im Umbruch. Die Prophezeiung der Vorgänger findet hier ihre Vollendung. ´Ein Sturm zieht auf´ und bricht in voller Wucht los, aus Klavier und Streichern in volle Orchestrierung. Jetzt zählt Standhaftigkeit im Klanggewitter, wenn Angst und Hass in schwierigen Zeiten um sich greifen: “Selbst das Gift aus der Geschichte wird hervorgeholt und Menschen diffamiert, die noch im Kontext eigner Meinung stehen.” Es bleibt der Funken Hoffnung: “Überstrahl doch bitte dieses Dunkel.”

Der Protagonist versucht es zuerst über eine lange und dunkle Reise in einem Akt der Selbstbefreiung, voller Narben und voller Sehnsucht. Ein bombastischer Rocker mit Akustikgitarre begleitet jeden Schritt, denn es ist ´Ein langer Weg´. Doch die Sehnsucht und das Verlangen nach Liebe ist unvermindert intensiv und leidenschaftlich. Schwermütige, flehende und bittende Stimmen in Dunst verhangener Nacht, mit dem großen balladesken Bekenntnis: ´Du bist alles was ich will´.

Glücklicherweise kann der Protagonist, nach langem Kampf und reichlich Tränen, eine toxische Beziehung und sein ´Geliebtes Monster´ hinter sich lassen: “Genug! Es ist genug!” Die Selbstreflexion führt zu einem rebellischen und rasenden Statement gegen Konformität und Ideologien, denen blindlings gefolgt wird. Denn beinahe rotzig und punkig gibt sich der Tanz zwischen Anarchie und Eleganz ganz dem ´Punk & Pomerol´ hin: “Ich spiel nicht mit bei Eurem Spiel. Ich sage nicht was Ihr diktiert. Ich pass nicht rein in das Regal.”

Derweil scheint ´Avalon´ der letzte Zufluchtsort zu sein, bombastisch, rhythmisch und mächtig orchestral, ein mystischer und paradiesischer Ort. Denn die wirkliche Welt wirkt zerstört und verloren: “Das freie Wesen passt nicht mehr in das Konzept. Die Flut des Denkens im Zensursand längst verebbt”. Nachdenklichkeit bleibt zurück, in der Stille der Nacht und sucht nach Frieden mit sich selbst. Anne Nurmi singt mit unglaublich emotionaler Stimme in aller Melancholie, zwischen Verzweiflung und Hoffnung: ´Dark Is This Night´.

Wohingegen der bittersüße Blick auf verpasste Chancen des Lebens, auf die Möglichkeiten ´In einem anderen Leben´ unheimlich leichtfüßig und losgelassen erklingt, aber mit Schmerz verbunden ist. Ein letzter Vorhang. Ein letzter Akt. Voller Wehmut sowie zugleich voller Hoffnung, voller Erinnerungen sowie zugleich voller Zuversicht auf einen Neubeginn: in ´Memoria´: “Überstrahl doch bitte dieses Dunkel.”

Der Kreis schließt sich

Die Morgendämmerung naht. Die nächsten Abenteuer stehen schon bereit. Doch ´Lament´ beschließt erst einmal eine emotionale Reise durch die Tiefen der menschlichen Seele.

Vorhang für Vorhang, Akt für Akt, teilt es Verlust und Schmerz, Hoffnung und Liebe, aber ebenfalls das Streben nach Freiheit. Jede monumentale Komposition ist ein Teil des großen Ganzen, so das sich das Mosaik aus Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen zusammensetzt.

Durch den Verlust geliebter Menschen und großer Künstler zeichnet Tilo Wolff seit 2017 eine Welt zwischen Traum und Realität, angefangen mit ´Testimonium´ und ´Leidenschaft´, beendet mit ´Lament´, die mit all ihren Schattenseiten hinter uns bleibt, um durch Rebellion, Reflexion oder Liebe neue Wege zu beschreiten. Neue Geschichten und neue Abenteuer warten schon. Der Morgen graut.

(9 Punkte)

https://www.facebook.com/LacrimosaOfficial/

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