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YES – Fragile

~ 1971/2025
(Analogue Productions/Atlantic 75 Series)
&
(Rhino Records)
Stil: Progressive Rock ~


Nach der Veröffentlichung ihres himmelsgleichen Werkes ´The Yes Album´ ging die englische Progressive Rock-Band YES im Januar 1971 mit IRON BUTTERFLY auf Europatournee und im Juni 1971 mit JETHRO TULL in Nordamerika auf Rundreise. In dieser Zeit kam es zu Differenzen zwischen Gitarrist Steve Howe und Organist/Pianist Tony Kaye, weil letzterer angeblich kein Mellotron und Minimoog-Synthesizer spielen wollte. Bassist Chris Squire und Steve Howe hatten zudem längst nach einem Ersatzmann Ausschau gehalten und favorisierten den hochbegabten Studiomusiker Rick Wakeman, der zuletzt bei STRAWBS gespielt hatte und versiert den Flügel, Mellotron und Moog spielen konnte.

Nach dem Abschlusskonzert ihrer Tournee 1970/71 im “Crystal Palace Park” in London begannen sie einen Monat später, im August 1971, mit den Proben für das kommende Studioalbum. Die im Raum stehende Idee, ein Doppelalbum mit der einen Hälfte aus Studiomaterial und der anderen Hälfte aus Live-Aufnahmen zu produzieren, wurde letztlich aus Zeitmangel verworfen. Die Neubesetzung an den Tasten setzten YES allerdings um. Der klassisch ausgebildete Pianist Rick Wakeman trat der Band bei, obwohl er ein Angebot für David Bowies Tourband vorliegen hatte.

Gemeinsam nahmen sie im August und September 1971 in den “Advision Studios” mit Co-Produzent Eddy Offord und einem 16-Spur-Tonbandgerät das Studioalbum ´Fragile´ auf.

´Fragile´ erschien ursprünglich am 12. November 1971 in Großbritannien, mit dem ersten Artwork von Roger Dean in der Bandgeschichte.

Zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ kommt das vierte Studioalbum derzeit im echten Goldstandard auf Vinyl heraus, aber gleichfalls in einem Remix.

Einerseits haben sich „Analogue Productions“ dem Jubiläum angeschlossen und veröffentlichen die Scheibe ihrerseits auf einem 180g schweren Doppel-Vinyl mit 45 rpm, natürlich gepresst bei „Quality Record Pressings“, vom analogen Original-Masterband von Kevin Gray gemastert, in einem aufklappbaren, massiven und glänzenden Gatefold Pocket Jacket.

Die bekannte Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt zu diesem fantastischen Sound, der diese fantastische Pressung gegenüber den bislang bekannten abermals zu einer Referenzaufnahme macht. ´Fragile´ tönte seit der Originalpressung nie wieder so meisterlich.

Andererseits haben sich „Rhino Records“ entschlossen, ´Fragile´ in einer limitierten Green Vinyl-Edition mit dem Mix durch Steven Wilson aus dem Jahre 2015 in einem glänzenden Gatefold-Cover und einer Pressung durch “Optimal Media” herauszubringen.

Der Mix von Steven Wilson beschert ein neues Hörerlebnis, der Gesang und die Keyboards sind eher im Vordergrund und die Harmoniegesänge im Hintergrund angesiedelt. Die phantastische und totenstille Pressung ist herausragend und bei der Suche nach einem neuen Hörerlebnis von ´Fragile´ ist jedermann und jedefrau bei der “Rhino”-Pressung an der richtigen Adresse.

Den Goldstandard für das Original setzen allerdings wieder einmal „Analogue Productions“. 

Auch musikalisch ist ´Fragile´ ein echtes Referenzwerk, obgleich die eine Hälfte der Lieder von der Formation zusammen ausgearbeitet ist und die andere Hälfte auf individuellen Ideen der einzelnen Bandmitglieder basiert. Somit ist das Werk eine Mischung aus epischen Kompositionen für die Ewigkeit und außergewöhnlichen Solo-Vorführungen.

Der Evergreen ´Roundabout´ entwickelte sich ursprünglich aus einer Gitarren-Instrumentalsuite und entstand entweder auf dem Weg zum “Montreux Jazz Festival” im Zug oder in Schottland, wo Sänger Jon Anderson seinerzeit lebte. Der niemals langweilig werdende Achtminüter beginnt mit zwei rückwärts gespielten Klavierakkorden, gefolgt von einer Gitarreneinlage, einer sensationellen Basslinie (“I’ll be the roundabout, the words will make you out-and-out.”), Orgel-Arpeggios samt seinen übermächtigen Harmonien (“In and around the lake.”).

Sodann schließt sich Rick Wakemans Adaption eines Auszugs aus dem dritten Satz der 4. Sinfonie in E-Moll von Johannes Brahms unter dem Titel ´Cans And Brahms´ an, da ihm sein Solo-Plattenvertrag keine eigene Komposition innerhalb der Gruppe gestattete. Die Streicher, Bläser und Holzinstrumente werden dabei von einem elektrischen Klavier, einem Flügel, einer Orgel und einem elektrischen Cembalo übernommen.

Der himmlische Gesang in Jon Andersons ´We Have Heaven´ enthält innerhalb seiner hinreißend vielschichtigen Gesangsparts die zwei Hauptsätze „Tell the Moon dog, tell the March hare“ und „He is here, to look around“. Anschließend wird eine Tür zugeschlagen und jemand läuft eiligen Schrittes davon.

Der nächste legendäre Achtminüter ´South Side Of The Sky´ handelt von einer mit dem Tod endenden Polarexpedition und klingt so frisch wie am ersten Tag, mit seinen unwahrscheinlichen Grooves von Chris Squire und Steve Howe, Rick Wakemans atemraubend schönem klassischen Klaviersolo und den dreistimmigen Gesangsharmonien, während das erlesene ´Long Distance Runaround´ über heuchlerische Frömmigkeit sinniert und von Steve Howes sowie Rick Wakemans Harmonien zum Leuchten und von Chris Squires Basslinien ins Schleudern gebracht wird.

Bill Brufords Komposition ´Five Per Cent For Nothing´ ist eine Mini-Jazz-Fusion und tritt vom Titel her ihrem ehemaligen Manager nach, der weiterhin fünf Prozent für Nichts erhält. Für Chris Squires brillantes Solostück ´The Fish (Schindleria Praematurus)´ musste jedoch ein prähistorischer Fisch in acht Silben gefunden werden, so dass jemand “Schindleria Praematurus” recherchierte.

Steve Howe präsentiert hingegen sein Solostück ´Mood For A Day´ mit einer Flamencogitarre und somit sein zweites Akustikgitarrensolo bei YES, sozusagen das Echo auf ´Clap´. Der finale Elfminüter ´Heart Of The Sunrise´ ist ein weiterer Evergreen, der von Rick Wakemans klassischer Ausbildung und seinen dementsprechenden Orgelparts profitiert (“Sharp! Distance!”), in epischer und progressiver Weise.

´Fragile´ ist große zeitgenössische Kunst der Siebzigerjahre, die noch viele Dekaden weiterstrahlen wird. Unverzichtbar. Unwiderstehlich. Unübertrefflich.

(Klassiker)

Jon Anderson  – Lead- und Hintergrundgesang
Steve Howe  – elektrische und akustische Gitarre, Hintergrundgesang
Chris Squire  – Bassgitarren, Hintergrundgesang, zusätzliche E-Gitarre
Rick Wakeman  – Hammondorgel, Flügel, RMI 368 Electra-Piano und Cembalo, Mellotron, Minimoog-Synthesizer
Bill Bruford  – Schlagzeug, Percussion

https://www.facebook.com/yestheband

 

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