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THIN LIZZY – The Acoustic Sessions

2025 (Decca/Universal Music) - Stil: Rock

Gesangslinien von verstorbenen Vokalisten neu zu vertonen, ist absolut nichts Neues. Zum ersten Mal erinnere ich mich, dass ich 1978 ´An American Prayer´ von Jim Morrison kaufte. Gesangslinien und Schnipsel und Gedichte von Jim, die die drei überlebenden THE DOORS-Kollegen vertont hatten. Da gab es auch Diskussionen, ob das moralisch etc. sinnvoll ist. Die Platte war gut, ich habe sie gemocht, mag sie noch heute. Aber sie ist natürlich nicht zu vergleichen mit den sechs legendären THE DOORS Studioalben.

Ähnlich verhält es sich im Falle THIN LIZZY, wo alte Gesangsspuren von Philip Lynott aus der ersten Phase der Band von 1971 bis 1973 vertont wurden. Das Schlagzeugspiel von Brian Downey war wohl auch noch teilweise vorhanden (Brian wurde einmal mehr aus welchen Gründen oder auf eigenen Wunsch nicht einbezogen. Das ist sehr schade). Originalgitarrist Eric Bell, erst kürzlich als Legende in seiner Heimatstadt Belfast zurecht ausgezeichnet, hat man ins Studio gebeten, um die Gitarrenspuren neu einzuspielen. Schön für Eric, der das (natürlich) tadellos gemacht hat, und damit (endlich) mehr Aufmerksamkeit und eine Aufstockung der (fehlenden) Rente bekommt. Producer Richard Whittaker, der sich bei mir mit den Remixes von ´Jailbreak´ und ´Johnny The Fox´ nicht gerade beliebt gemacht hat, durfte wieder produzieren. Da gibt es dieses Mal allerdings nichts auszusetzen. Das schon einmal vorweg. Es gab auch keine KI oder solchen Murks. Das hat THIN LIZZY nicht nötig.

Fakt 1: Entgegen dem Marketing ist es natürlich nicht das erste neue THIN LIZZY Album seit über 40 Jahren, genauso wie das damals bei THE DOORS auch nicht der Fall war. Es wird kein neues Album mehr geben (hoffentlich, angesichts des kleinen THIN LIZZY-Hypes derzeit), denn Philip Lynott ist seit Januar 1986 nicht mehr unter uns. Wie der “Lizard King” seit 1971.

Fakt 2: Es ist für mich sehr erfreulich, dass das auch sehr gute und bemerkenswerte Frühwerk von Philip und THIN LIZZY mehr Aufmerksamkeit bekommt. Das hat es verdient. Ob die eher an ´Jailbreak´, ´Live And Dangerous´ oder ´Black Rose´ ausgerichteten Hörerschaften das erste Kapitel meiner liebsten Band schätzen, wird sich zeigen. ´Vagabonds Of The Western World´ wurde beim 50-jährigen Jubiläum 2023 recht wohlwollend aufgenommen.

Zum Album: Alle Songs sind schon bekannt, einige wurden schon vorab digital veröffentlicht, wie natürlich der Dauerbrenner ´Whiskey In The Jar´, der der Band bekanntermaßen mehr geschadet als geholfen hat. Es ist auch nicht alles komplett “unplugged”, irgendwie ist aber immer eine Akustikgitarre dabei.

Es beginnt mit ´Mama Nature Said´, Philips “Öko-Song” vom ´Vagabonds…´- Album. Es fällt sofort auf, mit welchem gesanglichen Können Philip damals schon unterwegs war. Hier wird nur mit akustischer Gitarre begleitet. Und der Einfluss, den damalige Sänger wie Rod Stewart und vor allem Van Morrison, die Philip bewunderte, auf ihn hatten, wird immer wieder deutlich. Er experimentiert auch immer wieder mehr mit seiner Stimme als letztlich auf den offiziellen Alben hörbar war.

´A Song For While I’m Away´ ist nicht so sehr vom Original entfernt, akustischer und mit feinen Vocals von Philip. Das macht den LIZZY-Supporter dann schon etwas traurig. Auch nach 39 Jahren. Einer der softesten, aber auch traurigsten Songs von Philip. ´Eire´ vom hervorragenden Debüt ´Thin Lizzy´ ist mit fast doppelter Spielzeit sehr essenziell und Eric hat die Gitarre großartig eingespielt. Philip improvisiert. Prädikat besonders wertvoll. Der Song an sich ein Juwel. Wow.

´Slow Blues´, auch von ´Vagabonds…´ war nie mein absoluter Lieblingssong, kommt aber im semi-akustischen Gewand sehr gut rüber. Eric steuert ein beseeltes elektrisches Gitarrensoli bei. ´Dublin´, auch eine der frühen Perlen von der ´New Day´-EP in einer feinen Version. Eric wieder großartig. Philips große Liebe, seine Heimatstadt. Was für ein mächtiger Song. Autobiografisch.

´Whiskey In The Jar´ klingt einigermaßen spannend in der neuen, sehr kompakten Version. Da gab es wohl Differenzen wegen der Solo- und Songlänge zwischen Eric und den Produzenten. Wird gemunkelt und in Zeitschriften geschrieben. Egal. Eric ist halt ein Dickkopf. Aber sicher mit Schmerzensgeld abgemildert. ´Here I Go Again´ war “nur” eine B- Seite, aber ein weiterer autobiografischer Song von Philip und ein weiteres verstecktes Juwel. Auch hier improvisiert Philip in der zweiten Hälfte und klingt wie eines seiner damaligen großen Vorbilder, den schon genannten Van Morrison. “Van the Man”. Selbst eine Legende. ´Shades Of A Blue Orphanage´, der hervorragende Abschlusssong des zweiten, etwas inkonsistenten Albums ´Shades Of Blue Orphanages´ ist auch unter akustischen Bedingungen ein verkanntes Juwel. ´Remembering Pt. 2´ ist der Originalversion sehr ähnlich, (noch) etwas rauer gesungen. ´Slow Blues – G.M (Gary Moore)´ ist ein Bonustitel und eine Hommage von Eric an Gary Moore auf limitierten CD- und Vinylausgaben (hoffentlich kommen die bald). Genau. Das Album gibt es in verschiedenen Vinyl- und CD-Varianten. Habe nur drei bestellt. Man muss nicht alles mitmachen. Leider hat nicht “Covergott” Jim Fitzpatrick illustriert, sondern irgendwas Modernes wurde geschaffen. Jim hätte zur Musik besser gepasst.

Fazit: Für THIN LIZZY-Supporter trotz der oben genannten zweifelhaften Marketingstrategie auf jeden Fall ein Gewinn und ein Muss. Zehn Songs mehr für die Sammlung mit dem einmaligen Gesang von Philip Lynott. Alle anderen sollten den soften, akustischen, aber auch gesanglich und textlich schon sehr engagierten, jugendlichen Philip Lynott und THIN LIZZY von Anfang der 70er Jahre eine Chance geben. Philip war weit mehr als der schillernde “The Rocker” mit Nieten und geballter Faust. Das wissen natürlich alle, die ihn und seinen gesamten Katalog, auch seine Solo-Werke, schon genauer kennen.

(Ohne Wertung)

https://facebook.com/ThinLizzyOfficial


(VÖ: 24.01.2025)

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