MARILYN MANSON – Antichrist Superstar
1998 (Interscope) - Stil: Industrial Rock/Alternative Metal/Gothic Rock/Experimental
Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, welche Art von neuer Musik mich Mitte der 90er wirklich noch begeistern konnte. Grunge und Noise Rock waren bereits seit ein paar Jahren tot. Metal und Hardrock ohnehin schon seit längerem kein Thema mehr.
Die Garagen- und Punk Rock-Retro-Welle um Acts wie NINE POUND HAMMER, Jon Spencer, CHEATER SLICKS und „Crypt Records“ & Co. war bereits schon eine ganze Weile am Rollen und noch das einzige wirkliche Highlight, und auf die Idee, mir ein Album wie ´Antichrist Superstar´ anzuhören, wäre ich damals nie und nimmer gekommen.
Rund 30 Jahre später sieht das nun eben ganz anders aus.
Der Cross-Dressing-Ghoul Marilyn Manson bot in seiner Anfangsphase jedenfalls eine besonders krude Mischung aus Antichristentum, transformativer Science Fiction und Horrorfilm-Schock – und ´Antichrist Superstar´ thematisiert wie unsere künstliche Moral den Geist so stark unterdrückt, dass am Ende nur noch Hass übrigbleibt.
Rock´n´Roll kann seine Anhänger in die energetische Verkörperung dieses Hasses verwandeln und sie von der Lüge einer guten Gesellschaft befreien, wobei Manson diesen Prozess in Gang setzt, indem er zum “Antichrist-Superstar” wird.
Der Albumtitel stammt in spitzbübischer Weise von Andrew Lloyd Webbers Musical ´Jesus Christ Superstar´ und gab ihm sein eigenes, einzigartiges Wortspiel, das eine vernichtende Gesellschaftskritik konzipierte.
Die Handlung, die ´Antichrist Superstar´ umrahmt, ist ein reiner Scream-Schocker, und ganz getreu dieser Tradition weiß Marilyn Manson auch, dass sein Schreckgespenst gleichzeitig auch ein Witz ist, denn der Nervenkitzel des Horrors bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Hysterie und Heiterkeit.
´Antichrist Superstar´ greift die Spannung auf, indem er die Ängste parodiert, die sie schürt, und in Songs wie ´1996´ oder dem grandiosen Opener ´Irresponsible Hate Anthem´ nutzt Manson sein facettenreiches Exorzisten-Grollen, um diejenigen zu verspotten, die ihn verurteilen.
Um das Album musikalisch zu realisieren, setzte er seine damalige Freundschaft mit seinem Mentor Trent Reznor fort und begab sich in dessen „Nothing Studios“ in New Orleans, und es ist für mich auch der einzige Makel an diesem Werk, dass die NINE INCH NAILS-Vibes ausgesprochen dominant und unüberhörbar sind. Das Album wirkt auf mich auch deutlich sperriger, als die anderen beiden Werke aus der Trilogie.
Bis dato hatten Mansons Ideen jedenfalls mehr Gewicht als seine Musik, aber der Sound von ´Antichrist Superstar´ entspricht dann doch ganz und gar der grellen Grandiosität seiner Argumente, und die 16 Songs rocken größtenteils wie BLACK SABBATH auf einem Acid-Trip, während die Arrangements im Opernumfang Erinnerungen an QUEEN wecken und die vampirische Kühle eindeutig von BAUHAUS stammt.
Die MINISTRY-Einflüsse sind natürlich genauso eindeutig wie die Omnipräsenz des NIN-Masterminds, und weitere herausragende Stücke sind das verzerrte ´Cryptorchid´, das Groove- und Beat-getriebene ´The Reflecting God´ oder der finstere Titeltrack.
Im Song ´Wormboy´ beschwört Manson: „Wenn du im Himmel ankommst, wirst du dir wünschen, in der Hölle zu sein!“ – und die Musik wird unterbrochen von bestialischem Knurren, geisterhaften Chören, verdrehten Synthesizern und anderen bedrohlichen Tönen. Im Verlies des Antichristen herrscht jedenfalls so viel Leben, dass man es nie wieder verlassen will!
(9 Punkte)
Favorites: ´Irresponsible Hate Anthem´, ´Beautiful People´, ´Tourniquet´, ´Antichrist Superstar´, ´The Reflecting God´