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GENESIS – Nursery Cryme

1971/2024 (Analogue Productions/Atlantic 75 Series) – Stil: Prog Rock

Nach dem ersten meisterlichen Werk von GENESIS – ´Trespass´ barg im Jahre 1970 Klassiker wie ´Looking For Someone´ und ´The Knife´ – zog sich ihr hochtalentierter Gitarrist Anthony Phillips aus der Formation zurück. In dieser misslichen Situation trennten sie sich daneben von Schlagzeuger John Mayhew. Sie versuchten nun im gleichen Zuge auch dessen Position mit einem ihnen ebenbürtigen Musiker zu besetzen.

Als erstes fanden sie im August 1970 in Phil Collins einen neuen Schlagzeuger, der auch erstklassig singen konnte und zuvor bei FLAMING YOUTH tätig war. Ein gewisser Roger Taylor hatte eine Einladung zum Vorspielen abgelehnt.

Die Suche nach einem Gitarristen gestaltete sich indes schwieriger, so dass sie zwischenzeitlich bei ihren Live-Auftritten ohne einen auskommen mussten. Über eine Anzeige entdeckten sie zu guter Letzt Steve Hackett von QUIET WORLD, der aufgeschlossene Musiker suchte und GENESIS im Januar 1971 beitrat.

Die neue Besetzung musste ihre Feuertaufe sogleich bei einer UK-Tournee mit LINDISFARNE und VAN DER GRAAF GENERATOR sowie beim “Reading Festival” bestehen. Für das nächste Studioalbum fanden die Proben hingegen im “Luxford House” in der Nähe von Crowborough in East Sussex und die Aufnahmen im August 1971 in den “Trident Studios” statt.

Das dritte Album der Band wurde im November 1971 unter dem Titel ´Nursery Cryme´ veröffentlicht. Es war der Beginn ihrer klassischen Progressive Rock-Ära und besaß mit ihrer musikalischen Vision einen enormen Einfluss auf die folgende Epoche. Währenddessen begann auch ihre kleine Kultanhängerschaft langsam zu wachsen.

Dieses Meisterwerk erscheint derzeit zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ wieder auf Vinyl. Dem haben sich „Analogue Productions“ angeschlossen und veröffentlichen die Scheibe ihrerseits auf einem 180g schweren Doppel-Vinyl mit 45 rpm, natürlich gepresst bei „Quality Record Pressings“, vom analogen Original-Masterband von Chris Bellman gemastert, in einem wunderbar dicken Tip-on Gatefold Double-Pocket Jacket.

Die bekannte Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt zu diesem unglaublichen Sound, der diese totenstille Pressung eines äußerst dynamischen Albums als die bislang absolut dynamischste klingen lässt und eine erstklassig hörbare Trennung der Instrumente bietet.

Das Cover-Artwork von ´Nursery Cryme´ ist der mittlere Teil der Paul Whitehead-Trilogie. Der Künstler entwarf zuvor bereits das Cover für ´Trespass´ und anschließend eines für das folgende Werk ´Foxtrot´.

Auf ´Nursery Cryme´ zeigt es Figuren und Szenen aus dem Song ´The Musical Box´ auf einem Krocketrasen vor einem viktorianischen Herrenhaus, das dem Elternhaus von Peter Gabriel nachempfunden wurde, und natürlich einige abgetrennte Köpfe anstatt der üblichen Kugeln.

Die Kompositionen selbst sind auf ´Nursery Cryme´ passenderweise bisweilen aggressiver und düsterer, etwa bei ´The Return Of The Giant Hogweed´ und ´The Musical Box´, aber auch in einer akustischen Art und Weise wie bei ´For Absent Friends´ leichter.

Steve Hackett spielt neben einer Zwölfsaitigen eine Les Paul-Gitarre und Tony Banks zusätzlich ein frisch von KING CRIMSON abgekauftes Mellotron, das besonders in ´Seven Stones´ und ´The Fountain Of Salmacis´ hervorsticht. Lyrisch sind die Kompositionen natürlich von Literatur, Mythen und Märchen inspiriert und erzählen einzelne Geschichten.

Zur Eröffnung präsentieren GENESIS die legendäre zehnminütige Mini-Suite ´The Musical Box´, die eine makabre viktorianische Geschichte erzählt. “Play me my song (Here it comes again).” Beim Krocketspiel schlägt Cynthia Jane De Blaise-William einem verdutzen Henry Hamilton-Smythe Minor den Kopf ab. Aus einer Spieluhr in Henrys Kinderzimmer kommt er jedoch geisterhaft zurück, altert aber umgehend körperlich. Bei der Begegnung mit Cynthia entsteht eine mehr als romantische Atmosphäre, die jedoch eine hereinstürzende Krankenschwester mit einem gezielten Wurf auf das gealterte Kind zerstört. “But the clock, tick-tock.” Die Komposition darf sogar als Proto-Prog-Metal angesehen werden, denn neben Kinderreimen kommen auch massive Keyboards zum Tragen.

Dagegen ist das flüchtige ´For Absent Friends´ ein wundervoller Akustikgitarren-Song auf der Zwölfsaitigen, gespielt von Mike Rutherford sowie Steve Hackett, und der erste GENESIS-Song mit Phil Collins als Leadsänger. “Heads bent in prayer for friends not there.” Kraftvoller ertönt wieder das achtminütige und humorvolle ´The Return Of The Giant Hogweed´, mit erstmaligem Guitar-Tapping durch Steve Hackett, über die Verbreitung der giftigen Riesen-Bärenklau-Pflanze (“Heracleum mantegazzianum”), nachdem sie von einem viktorianischen Entdecker nach England gebracht wurde.

Für ´Seven Stones´ konzipiert und spielt Tony Banks seine geliebten Music-Hall-Akkorde in dramatischer Stimmung. “The changes of no consequence will pick up the reins from nowhere.” Und für ´Harold The Barrel´ zeigen GENESIS erstmals Peter Gabriel und Phil Collins im Duett sowie ihre humorvolle Seite, auch wenn der Song von einem, den Selbstmord abwägenden Mann handelt. Ihre pastoralen Melodien versprühen sie in ´Harlequin´ mit Orgel, Mellotron, E-Gitarre und Zwölfsaitigen sowie einem Harmoniegesang von Peter Gabriel, Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks. Das abschließende, achtminütige ´The Fountain Of Salmacis´, über den Mythos von Hermaphroditus, dem Sohn von Aphrodite und Hermes, wartet nochmals mit der gesamten Schönheit und Dramatik auf, die jedermann und jederfrau spätestens seit ´Nursery Cryme´ im Zusammenhang mit GENESIS so sehr lieben.

(Klassiker)

 

Tony Banks – Hammondorgel, Mellotron, Klavier, E-Piano, 12-saitige Gitarre, Hintergrundgesang
Mike Rutherford – Bass, Basspedale, 12-saitige Gitarre, Hintergrundgesang
Peter Gabriel – Leadgesang, Flöte, Oboe, Bassdrum, Tamburin
Steve Hackett – E-Gitarre, 12-saitige Gitarre
Phil Collins – Schlagzeug, Percussion, Hintergrundgesang

https://www.facebook.com/genesis

 

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