Besonders Musiker des Progressive Rock sollten für Neuerungen fortwährend aufgeschlossen sein. Denn sobald sie ihren eigenen Sound gefunden haben, könnte dieser bei ständiger Wiederholung von Album zu Album ansonsten schnell ins Banale abdriften.
Auch bei Neal Morse besteht diese Gefahr seit vielen Jahren, schließlich hat er seinen Sound mit SPOCK’S BEARD und im Anschluss als Solo-Künstler über viele Jahre hinweg reichlich ausgeschöpft. Große Neuerungen sind dementsprechend schon lange nicht mehr zu erwarten. Zudem bietet er mittlerweile auf der Basis seiner ureigenen Prog Rock-Formel sogar Meister-Kurse unter dem bezeichnenden Titel „Wie man ein Progressive-Rock-Album macht“ an.
Daher kam der Vorschlag seiner Ehefrau wohl zur rechten Zeit, er solle doch mit den jungen und talentierten Leuten aus seiner Umgebung an neuem Songmaterial arbeiten. Denn diese jungen Menschen schenken den jüngsten Kompositionen in der Tat ein echtes Gefühl der Frische, mit überraschenderen Klanglandschaften und einigen Neugestaltungen gegenüber den Vorgängern.
Dieses neue Morse’sche Kollektiv firmiert deshalb von nun an unter dem Namen NEAL MORSE & THE RESONANCE.
Da Neal Morse in einem echten Bandumfeld immer zur Höchstform aufläuft, ist auch diesmal das Ergebnis dementsprechend ausgefallen. ´No Hill For A Climber´ ist ein kleines Meisterwerk voller Tiefgang, das nur Künstler mit angemessener Musikalität und angemessenen Fähigkeiten im Songwriting ersinnen können.
Zur Konstruktion von ´No Hill For A Climber´ rahmen die Hauptbeteiligten – Neal Morse (Keyboards, Gitarre, Bass, Percussion, Lead & Backing Vocals), Chris Riley (Keyboards, Gitarre, Bass, Lead Vocals), Andre Madatian (Gitarre, Orchestration), Johnny Bisaha (Lead Vocals), Philip Martin und Joe Ganzelli (Schlagzeug) – drei kürzere Kompositionen mit zwei Longtracks ein, jeweils in einer epischen Länge von 21 und 29 Minuten, ähnlich strukturiert wie ´The Grand Experiment´ der THE NEAL MORSE BAND anno 2015.
Obwohl natürlich Vergleiche mit GENESIS und all den großen 70s-Giganten gezogen werden können, so liegt die direkte musikalische Verwandtschaft nicht in der Ferne, sondern bei SPOCK’S BEARD und NEAL MORSE in naher Vergangenheit.
Der gewohnt sinfonische Einstieg in das erste Epos ´Eternity In Your Eyes´ bedeutet allerdings keine geläufige Evolution eines Liedes. Verschiedene Stimmungen lassen die Hauptmelodie zu Beginn und am Ende preisen. Der abwechslungsreiche Gesang zeigt sich einmal verzerrt, einmal zu Glocken oder in den Höhen, ehe nach einigen instrumentalen und solistischen Exkursionen das große Finale besungen wird.
Dagegen präsentieren sich die drei kürzeren Stücke bisweilen recht ungewohnt. ´Thief´ spielt in aller Coolness im Nightclub auf, um zwischendurch mit einem großen Harmoniegesang zu überraschen und letztlich sogar noch eine Bläsergruppe miteinzubeziehen. ´All The Rage´ scheint im jubilierenden Rockgewand bisweilen einem Musical entnommen und ´Ever Interceding´ eint alle in einer dieser beliebten Morse’schen Balladen, sinnbildlich auf dem Weg nach Damaskus für die Begegnung mit dem Auferstandenen.
Das zweite, beinahe halbstündige Epos ´No Hill For A Climber´ zieht danach nochmal alle Register. Die Saiten werden gezupft und gerissen, Neal Morse und Chris Riley stehen am Mikrofon, Stimme links und Stimme rechts. Es gibt coole Rhythmen und coole Stimmungen, sogar orientalische Anklänge. Es wird sinfonisch und spartanisch, es wird außerordentlich himmlisch, wenn die Melodienfolgen über den Wolken zum Holy Fire ausgerufen werden.
(9 Punkte)
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Pic: Lev Pippin