AMYL AND THE SNIFFERS – Cartoon Darkness
2024 (Rough Trade) - Stil: Punk Rock
Auf diese Platte habe ich mich wirklich gefreut. Denn AMYL AND THE SNIFFERS ist mit dem letzten Album eine weitere Meisterleistung gelungen. Eine Weiterentwicklung des Songwritings und eine Verbreiterung des musikalischen Ansatzes, ohne allzu viel von der hohen Energieleistung und der Punk-Attitüde der vorherigen Veröffentlichungen zu verlieren. Die Vorab-Single ´U Should Not Be Doing That´ / ´Facts´ zeigte auf der A-Seite einen weiteren Entwicklungsschritt in Richtung Eingängigkeit mit Saxophoneinsatz, war aber noch immer 100% im eigenen Sound. Die B-Seite ´Facts´ (die nicht auf der neuen Platte enthalten ist) war ein einfach strukturierter Punksong und trotzdem – oder gerade deswegen – stark. Das zur A-Seite zugehörige Video war witzig und virtuos wie die Vorgänger.
Nun also ´Cartoon Darkness´. 13 Songs. Das kompromisslose, rotzige und starke zweiminütige ´Jerkin’´ mit den schönen Eröffnungslyrics “You’re a dumb cunt. You’re an asshole” und das vorab bekannte melodische, mit Hitpotenzial ausgestattete ´Chewing Gum´ starten rasant und lassen mir gar keine Zeit, zu überlegen, ob das jetzt gut ist, eine Weiterentwicklung oder wie oder was. Der Rezensent tritt da zugunsten des Musikfans zunächst automatisch in die zweite Reihe zurück. Das knallt einfach gleich wieder richtig und fesselt dank der rohen Gitarrenpower und des charakteristischen Gesangs der unverwüstlichen Amy Taylor.
Es folgt dann das deutlich schräge ´Tiny Bikini´. ´Big Dreams´ ist anschließend mit leichten Keyboards doch überraschend sanft, aber auch sofort fesselnd. Solche Töne hat man noch nicht unbedingt von der Band gehört. ´Its Mine´ ist der pure Antagonismus im Anschluss. Eine krawallige, noisige Hardcore-Achterbahnfahrt. Auch ´Pigs´ ist wieder so ein fieser Zweiminütiger, ohne Ambitionen auf Radiotauglichkeit und trotzdem eingängig.
Und dann das bekannte und schon angesprochene ´U Should Not Be Doing That´, sicher der Song, der die größten kommerziellen Ambitionen hat. Das Spektrum ist gegenüber dem hochgelobten Vorgänger ´Comfort To Me´ noch breiter geworden. ´Motorbike´ hätte auch auf dem ersten Album oder den EPs sein können und kann auch gitarrentechnisch und bei der Schlagzeugarbeit voll überzeugen. Überhaupt die Gitarrenarbeit von Declan Martens. Sie wird durch den expressiven Gesang von Amy manchmal übersehen, ist aber in ihrer Unkonventionalität und durch die Zitate von vielen Jahren Rockgeschichte überaus konsequent und unverzichtbar für den Sound. ´Do It, Do It´ ist ein weiteres kleines Meisterwerk mit Surf Punk-Anleihen.
Textlich wird wieder ohne Rücksicht auf Verluste auf alles eingedroschen oder die Gedanken von Amy werden mal offen, mal verklausuliert, kundgetan. Klar, alles gespickt mit Kraftausdrücken und mit diesem unwiderstehlichen australischen Working Class-Slang. Aber mit vielen Themen, die derzeit viele beschäftigen. Oder irgendwie Feminismus nach Amy-Art wie bei ´Me And The Girls´ zum Schluss.
Über zwei EPs und drei Alben derart viel Energie zu versprühen und immer wieder neue Ideen in das Gesamtkonzept zu integrieren, ist eine große Leistung. Besser als der Vorgänger ´Comfort To Me´? Das wird die Zeit zeigen. Schade, dass die Live-Konzerte schon ausverkauft und in Deutschland überschaubar sind. Vor zwei Jahren noch auf dem kleinen und feinen Maifeld-Derby in Mannheim und jetzt vor 40.000 Leuten in London. Hoffentlich verkraftet das die australische Truppe. Bisher sieht es gut aus. Kompromisse ist die Band bisher keine eingegangen. Und wenn, dann wäre es ihnen wahrscheinlich scheißegal. Bereits nach dem zweiten Hör-Durchgang: Essenziell – und ein wenig mehr.
(9,25 Punkte)
https://www.facebook.com/amylandthesniffers
Pic: John Angus Stewart
(VÖ: 25.10.2024)