WHISPERING VOID – At The Sound Of The Heart
2024 (Prophecy Productions) - Stil: Alternative
Wenn sich Musiker der Bands ENSLAVED, TRELLDOM, GAAHL’S WYRD (darunter der Namensgeber) und GORGOROTH zusammentun, was kann man da erwarten? Eigentlich nicht weniger als ein legendäres und bis zum Anschlag progressives Black Metal-Album mit einigen deutlich räudigen Aspekten. Aber wenn ich dann WARDRUNA in diesem Zusammenhang lese, kommen bei mir erste Bedenken an meinen Visionen auf. Finden wir heraus, wie das Brainchild von Gitarrist Ronnie Stavestrand (u.a. TRELLDOM) zusammen mit Gaahl, der bei drei der genannten Bands aktiv war, als männlichem und WARDRUNA-Elfe Lindy-Fay Hella als weiblichem Gesang und Iver Sandøy von ENSLAVED an Bass und Schlagzeug klingen wird.
Ich glaube, Ihr werdet überrascht sein. Alleine schon dass Artwork, welches das Albumcover ziert, spricht im Grunde gegen eine Black Metal-Band. Ein Arm mit geöffneter Hand, der sich durch bestimmte Ranken hindurchstreckt und nach Blüten greift. Natürlich nicht wirklich realistisch dargestellt, aber durchaus mit einer gewissen Atmosphäre der Ruhe und Besinnlichkeit, durch die Farbgebung von weiß für die Blüten, die Ranken und den Arm, so wie ein ineinander fließendes körniges schwarz-grau für den Hintergrund, auf dem die Blüten zu treiben scheinen, auch eine nicht unerheblichen Schwermut gesegnet, spricht es von Träumereien und Melancholie.
Jetzt wundert es mich natürlich gar nicht, dass WHISPERING VOID musikalisch ihrer Plattenhülle mehr als nur gerecht werden wollen. Herbstmusik, da passt die Veröffentlichung im Oktober 2024 wie die Faust aufs Auge. Auch wenn ich nicht bezweifle, sich dieses Album hervorragend an lauen Sommerabenden hören lassen wird, wenn ich die Augen schließe und mich bzw. meine Sinne in diesem Geflecht aus verspielten Melodien Rhythmen und Akkorden bade, so träume ich von einem grauen Himmel und einer sturmgepeitschten Landschaft, wo welche braune Blätter sich mit letzter Kraft an knorrigen Bäumen festkrallen, bevor sie von den Böen fortgeweht und das erste und allerletzte Mal in ihrer Existenz fast hoch zum Himmel getragen werden.
Mit christlichen Elementen brauche ich natürlich hier keine Wortbilder malen, da wären sämtliche Musiker dieser Kapelle wohl raus. Aber es kommt auch nicht wirklich auf die persönliche Spiritualität des einzelnen Musikers an. Hier schafft ein Kollektiv, wenngleich sehr klein, eine große und machtvolle Klangwelt. Ihre Kompositionen leben von einer betörenden Dynamik, wie man sie bei den besten und schönsten jener Alben findet, die Ideen, welche aus dem schwebenden Rock der 70er auf dem schmalen Grat zwischen progressiv und psychedelisch gerettet und aktuellen Musikern entstaubt wurden, in einer geradezu allmächtigen Intensität auf die Liebhaber von musikalischen Lustwandeln loslassen.
Ich glaube, als solches darf ich die sieben Stücke auf diesem Album auch bezeichnen. Die Kompositionen wogen auf und ab in Puncto Energie bei der Darbietung. Aber sie fließen und jede neue Wendung in ihnen scheint ganz natürlich und logisch zu sein. Sie führen dich als Zuhörer an Orte in deiner Seele, wo die Träume in überbordender Pracht gedeihen. Sie können von ganz einfachen, ruhigen und fast nackten akustischen Gitarrenläufen im nächsten Augenblick schon fast in natürlich gemächlich dahinrollende, sich jedoch in ihrer Intensität fast sekündlich steigernde Passagen hineinexplodieren. Ich höre wunderbar eingesetzte, in den Hintergrund gemischte Slidegitarren, die sehnsuchtsvoll aus einer anderen Welt in die unsere herüberzusingen scheinen. David Gilmore kann es nicht sein, der weilt noch musizierend im Diesseits. Slidegitarren sind nicht nur staubiger Southern Rock, auch in den schwebenden Edelrock- und Prog-Geschichten der 70er und ihren frischen Post Rock-Counterparts finden sie ihren Weg und steigern diesen oben schon angesprochenen Aspekt der Sehnsucht, dass es den Hörer fast zerreißt vor Schmerz.
Oder es begleitet ein einzelnes Cello eine wehklagend nach etwas rufende Leadgitarre. Manchmal verhallt die Musik auch und fängt an zu wabern, leicht zu verschwimmen. Kommt dann aber wieder in einer absoluten Klarheit zum Hörer zurück. Der kratzige Folk nordischer Teufelsschamanen, dem sich die grandiosen WARDRUNA widmen, findet ebenfalls Einlass in die Klangwelt der flüsternden Leere. Zwar nur in Ansätzen und gewissen Dosen, die den Rahmen der schwebenden Rockmusik nicht sprengen, aber er ist da.
Die Rahmenbedingungen brauche ich hier natürlich gar nicht erst erwähnen. Da ich aber ein Vielschnacker und Schleswig-Holsteiner in erster Generation bin, möchte ich auf die exzellente lebendige und dynamische Produktion eingehen, deren Transparenz auch solche Details wie gewisses Kratzen, Plätschern und Schaben im Hintergrund als verstörende Klangfarben hörbar macht. Das Zusammenspiel der Musiker ist angesichts ihrer Professionalität absolut over the top geil. Ihr dürft jetzt natürlich keine ultimative Innovationsbombe erwarten. Das ist hier schlichtweg “nur” eine Fortführung dessen womit sich vor ihnen schon PINK FLOYD, ANATHEMA und CRIPPLED BLACK PHOENIX einen Namen gemacht haben, lediglich um die folkloristische und schamanistische Komponente erweitert. Was sich aber gerade fast schon wie ein Dämpfer des Hochgenusses anhören mag, ist einfach nur ein Hinweis. Machen wir uns nichts vor, neu erfinden kann man das Rad und in diesem Fall halt die Musik nicht.
Ich würde aber sagen, dass ein Album wie das vorliegende durch seine Tiefe und seine dichte Atmosphäre in Verbund mit traumhaft schönen Melodien so einen ureigenen Zauber generiert, dem zumindest ich trotz meiner nicht geringen Anzahl von Post Rock-Alben in der Sammlung anheimfalle. Auch für dieses Album gilt, die Platte ist sowas von gekauft. Gaahl ist nun als Mitglied dieses Quartetts nicht ganz so umstritten wie der gute Blake Judd von NACHTMYSTIUM, obschon er sicherlich kein Unschuldslamm darstellt. Die Gründe für seine Verfehlungen mögen halt nicht ganz so klar auf der Hand liegen wie bei Blake. Aber egal, Ecken, Kanten, ein Hauch Wahnsinn im Genie, nur so erlangt Musik Bedeutsamkeit.
(9,5 Punkte)
https://www.facebook.com/whisperingvoidband
(VÖ: 18.10.2024)