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BRYAN FERRY – Retrospective: Selected Recordings 1973-2023 (5 CD Box)

2024 (BMG Rights) - Stil: Glam Rock / Pop / Jazz

Der Sohn eines Bergarbeiters, der Kunst studierte und dann mit ROXY MUSIC sehr eigenständige Alben vorlegte und sich aber auch bald zu einer Solokarriere aufmachte, legt hier eine Retrospektive mit 81 Songs auf CD vor (es gibt auch eine deutlich schmalere Doppel-Vinyl-Ausgabe, die sich vor allem auf die bekannten Titel beschränkt).

Klar, ich mag manches von Bryan. Die frühen ROXY MUSIC-Alben mit Brian Eno, aber auch Songs aus seinem Solo-Werk. Allerdings in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ist mir Bryan nicht mehr sehr präsent gewesen. Als “Vorzeige-Dandy” mit vier Söhnen hat er natürlich auch neben der Musik viel zu tun gehabt. Auf dieser Retrospektive gibt es einen repräsentativen Querschnitt durch sein Solo-Werk und auch noch manches andere wie das mir noch nicht bekannte THE BRYAN FERRY ORCHESTRA.

Klassiker wie Bob Dylans ´A Hard Rain’s A-Gonna Fall´ gleich zu Beginn, ´These Foolish Things´ mit starken Glam Rock-Anleihen oder dramatische Balladen wie ´Smoke Gets In Your Eyes´, ´Your Painted Smile´ oder ´Make You Feel My Love´ sind wichtiges Gut der Rockgeschichte. Man muss das nicht mögen (ich mag es meistens schon), aber wie immer man zu Bryan steht, das ist alles immer sehr geschmackvoll in Vortrag, musikalischer Leistung und Gesang. Ja, eigentlich hat Bryan eine eher begrenzte Ausdrucksform gesanglicher Art, aber sein Gesang ist jederzeit erkennbar durch seine charakteristische Phrasierung.

Am Anfang noch “Avantgarde”, wie bei ROXY MUSIC, beispielsweise das starke und etwas vergessene ´The »In« Crowd´ oder ´This Island Earth´ (schon später 1978). Die “Avantgarde” wich allerdings schon früh auch kommerziellen Volltreffern wie dem 1976 veröffentlichten ´Let’s Stick Together´. Bryan konnte sich immer wieder neu erfinden und mit den Alben ´Boys And Girls´ und ´Bête Noire´ Mitte der 80er Jahre wurde New Romantic und Hochglanz adaptiert wie ´Slave To Love´ und für die Nobeldiscos Songs wie ´Don’t Stop The Dance´ oder ´Kiss And Tell´. Kunst war da nicht mehr so wichtig, Avantgarde schon gar nicht (obwohl er schnell Strömungen aufnahm), aber es hörte sich prima an. Auch ROXY MUSIC hatten spätestens mit dem starken ´Avalon´ den “Hochglanz” entdeckt.

Was Bryan, obwohl er auch ein starker Songwriter war, auch besonders auszeichnete, war die Neuinterpretation von Klassikern wie ´I Put A Spell On You´, ´As Time Goes By´ oder ´Love Letters´ und ´That’s How Strong My Love Is´. Die letzten beiden hat auch Frankie Miller interpretiert, der wohl deutliche gesangliche Gegenpol zu Bryan mit seinem schmutzigen Gesang (ein weiteres Beispiel dieser beiden Antipoden ist ´Jealous Guy´ von John Lennon, mal beide Versionen anhören!). Selbst einem abgenudelten ´Knockin’ On Heaven’s Door´ oder (dem auch mal von STATUS QUO in Frühzeiten eingespielten) ´The Price Of Love´ konnte er noch neuen Charme verleihen.

Es gibt auch Schönes, noch nicht so Bekanntes wie ´Which Way To Turn´, ´Song To The Siren´ oder ´Where Or When´. Die ersten rund 25 Songs sind meistens bekannt, es gibt aber auch vieles, was einfach mal so durchläuft wie ´Limbo´, ´Zamba´ oder ´I Thought´. So ab dem Album ´Taxi´ 1992 geriet Bryan Ferry in eine Schaffenskrise. Das merkt man den späteren Songs doch hin und wieder an. Die jazzigen Dixieland-Versionen von ROXY MUSIC Songs und eigenen Songs von seinem THE BRYAN FERRY ORCHESTRA fand ich jetzt nicht sehr prickelnd. Das muss jeder für sich entscheiden. Schnell übersprungen.

Insgesamt eine interessante Zusammenstellung. Es gibt noch als Zugabe bei den CDs selbstverständlich ein großes Buch mit vielen Bilder von Bryan. Das ist selbstredend für einen begnadeten Selbstdarsteller. Es gibt im Rockbusiness nur noch einen, der in Sachen Eleganz und originellem Gesang so begnadet ist, das ist der fantastische David Sylvian. Ich möchte da jetzt keinen Vergleich ziehen, David ist mir musikalisch dann doch noch viel lieber und deutlich spannender.

Zu viel Schmelz und Schmalz kann man Bryan nachsehen und es sind bei den 81 Songs meist die bekannten, die herausstechen. Das ist jetzt nicht sehr überraschend. Insgesamt sehr interessant und seine Musik hat immer etwas Dramatisches, gleichzeitig Gelassenes und Melancholisches. Chapeau!

(Legendär, ohne Wertung)

https://www.facebook.com/bryanferry


(VÖ: 25.10.2024)

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