Nach dem hohen Aufkommen an Veröffentlichungen im letzten Jahr zu Ehren vom 50-jährigen Jubiläum von ´Vagabonds Of The Western World´ (wobei bis auf ein paar rudimentäre Aufnahmen auf dem CD-Set nichts veröffentlicht wurde, was es zumindest nicht schon auf CD gab) hatte ich die Hoffnung, dass das Album ´Nightlife´ zum 50. Geburtstag auch eine gewisse Würdigung in diesem Jahr erhält. Das scheint nicht zu geschehen. Vielleicht gibt es keine alternativen Titel in der Hinterhand (schon auf der Deluxe-2CD-Box war wenig, noch einmal die BBC- Versionen braucht man nicht unbedingt). Vielleicht will man aber auch nicht daran gehen, weil das Album im THIN LIZZY-Katalog einfach zu unpopulär ist.
Egal. Dann feiern wir eben 48 Jahre Jubiläum des Doppelschlags ´Jailbreak´ und ´Johnny The Fox´ aus dem Jahr 1976. Da scheint das Interesse augenscheinlich da zu sein, denn bei den einschlägigen Händlern ist die Box ausverkauft und in deren Charts ziemlich weit oben. ´Jailbreak´ und ´Johnny The Fox´ waren auch die Alben, die THIN LIZZY in den USA und anderen Ländern populär machten.
Auf den ersten beiden CDs gibt es jeweils ´Jailbreak´ und ´Johnny The Fox´ in der originalen und der neu abgemischten Version von diesem Jahr von Richard Whittaker. Auf die neu abgemischten Versionen habe ich bei der Besprechung der parallel veröffentlichten beiden Vinyl- Versionen von ´Jailbreak´ und ´Johnny The Fox´ schon hingewiesen. Für mich absolut nicht der große Wurf. Hier widme ich mich den restlichen Aufnahmen. Und diese gewinnen wieder viele Sympathien von meiner Seite zurück. Auf CD 3 und CD 4 gibt es alternative Versionen, Demo-Versionen, Outtakes und allerhand Unveröffentlichtes, aber (leider) auch einmal mehr acht BBC-Versionen, die schon auf CD veröffentlicht wurden (okay die ´Live At The BBC´ CD-Box ist schon sehr lange vergriffen und unheimlich teuer. Viel zu kleine Auflage, wie scheinbar immer).
Was sticht heraus? Ist etwas besonders interessant?
CD3 (´Jailbreak´ Outtakes):
Die alternativen Versionen, z.B. von ´Angel From The Coast´, ´Emerald´ oder ´Running Back´ sind nicht nur für beinharte THIN LIZZY-Supporter sehr interessant. Wobei ´Emerald´ mit mehr Gesang eher wie ein Fremdkörper klingt.
´Romeo And The Lonely Girl´ und ´Fight Or Fall´ akustisch /”unplugged” (das gab es damals unter dem Begriff wohl noch nicht) sind richtig, richtig schön. Sie zeigen noch einmal eindrücklich die große Gesangsstärke von Philip Lynott und seine Variationsmöglichkeiten. Und wie viel Substanz in den genannten Songs steckt, obwohl sie auf ´Jailbreak´ nicht zu den bekannten Songs gehören. Hoffentlich findet man in Zukunft noch einige weitere akustische Juwelen. “Unplugged” ist sonst nicht mein Ding, aber bei meiner absoluten Lieblingsband sehr, sehr beeindruckend.
Instrumentals, die es auch gibt, braucht man nicht unbedingt. ´Blues Boy´ in einer Studioversion ist essenziell, auch wenn schon eine Version auf der Deluxe-2-CD von ´Jailbreak´ veröffentlicht wurde. ´Brian’s Number (Take 3 Outtake)´ zeigt Brian Robertson sechs Minuten lang auch am Klavier und klingt teilweise wie ein QUEEN-Instrumental. Robbo lernte ja neben der Gitarre auch Klavier und Schlagzeug. ´Funky Job (Outtake)´ ist ein frühes Fragment zu ´Johnny The Fox (Meets Jimmy The Weed)´. Spannend.
CD4 (´Johnny The Fox´ Outtakes):
Es beginnt mit einer Instrumentalversion von ´Johnny´. Doch die Steigerung kommt danach. Die zuvor unveröffentlichte alternative Version von ´Rocky´ ist stark mit zusätzlicher Gitarrenpower von Brian “Robbo” Robertson angereichert und geht über die Original-Studioversion in puncto Abwechslung und Lebendigkeit noch hinaus. Super. ´Johnny The Fox´ war – ohne Scott Gorham zu nahe zu treten, der super Soli auf dem Album ablieferte, irgendwie die Platte von Robbo, der ein paar seiner besten Gitarrensoli hier veröffentlichte und in der Form seines Lebens war.
Das akustisch gehaltene ´Borderline´-Demo ist wunderschön und wieder sehr stark von Philip gesungen. Wobei seine Stimme hier von der Tonhöhe irgendwie anders klingt. Was für eine mächtige Ballade. Großartig! Die alternative Version von ´Don’t Believe A Word´ ist interessant, aber die schon einmal früher veröffentlichte Version mit dem zweiten Gitarrensolo von Scott ist noch besser. Die Demoversionen von ´Fool’s Gold´, ´Sweet Marie´ und ´Old Flame´ sind auch sehr empfehlenswert. Eine lange, funkige Version von ´Johnny The Fox (Meets Jimmy The Weed´ folgt. ´Little Big Horn´ ist eine frühe Instrumentalversion von ´Massacre´. ´Biriani Tango (Instrumental Outtake)´ & ´Son Of Warrior (Instrumental Outtake)´ sind dann einmal tolle Instrumentals mit viel Wahwah-Gitarrenpower von Robbo. Die zwei folgenden Jams sind frühe Demosongs, mit rudimentärem Gesang. Es werden Teile von ´Dancing In The Moonlight (It’s Caught Me In Its Spotlight)´ zumindest vom Basslauf vorweggenommen. Alles in allem super spannend und auch vom Sound sehr gut. Und die vier BBC-Sessions. Na, okay.
Auf der 5. CD gibt es ein großartiges, noch nie offiziell veröffentlichtes Broadcast von 1976 aus Cleveland namens “Live in 100.7FM WMMS”. Die vorab angekündigten Songs sind zwar teilweise nicht enthalten. Aber auch als gebürtiger Schwabe möchte ich hier nicht zu viel bruddeln. Das Konzert ist großartig, zeigt eine Band mit unheimlich viel Power und ergänzt die großartigen Konzerte der ´Live And Dangerous Deluxe Box´ mit einer weiteren Sternstunde. Roh und ungekünstelt. Die beste Live-Band ihrer Zeit. Kein Widerspruch möglich.
Mit ´Little Darling´ gibt es zumindest ganz am Schluss ein überraschendes Lied aus der kurzen Trio-Ära mit Gary Moore. Und mit einer längeren Version von ´It’s Only Money´ und einer langsamen, langen Version von ´Romeo And The Lonely Girl´ neben den üblichen Klassikern (“We have a single out at the moment. It’s a new single …called ´The Boys Are Back in Town´”) manches Highlight. Am Schluss die obligatorischen Jams mit ´Baby Drives Me Crazy´ und ´Me And The Boys…´ mit zusammen über 15 Minuten Spielzeit vor dem genannten überraschenden ´Little Darling´. Sehr gut.
Und ganz zum Schluss eine Blu-ray mit den ersten beiden CDs im Atmos-Format und in der neuen Abmischung. Das brauche ich jetzt nicht unbedingt.
Fazit: Durch die hohe Anzahl von vielen interessanten, unveröffentlichten Tracks, die schönen Beigaben im beigefügten Booklet und dem fairen Preis (als die Box noch nicht zum Großteil vergriffen war) sehr empfehlenswert. Da gibt es Lob an die Plattenfirma, die Erbengemeinschaft “Lynott-Taraskevics” und den guten alten Scott Gorham. Doch wirklich. Und hoffentlich bekommen die Brians – Downey und Robertson – auch ein wenig vom Geburtstagskuchen ab.
Und vielleicht kommt ja ´Nightlife´ noch 2026 zum 52. Geburtstag.
(Alles Klassiker)