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NACHTMYSTIUM – Blight Privilege

2024 (Lupus Lounge) - Stil: Black/Metal

Mal sehen. 20,00 Euro ca. Seit 20…13 etwa. Hach, das läppert sich an Zinsen, die ich eigentlich verlangen müsste. Ja, hier bin ich und wurde von Blake Judd gelockt und war gierig nach exklusivem Shirt zur damals aktuellen LP. Hab ihm Geld geschickt, kam nie was nach. Wirklich gut gebettet in finanzieller Hinsicht war ich damals nicht. Ganz ehrlich, ich bin nicht verhungert. Und ich reihe mich auch nicht ein in die Meute der Schimpfenden, von denen die besten Kommentare aus den asozialen Medien u.a. im Video zur ersten Auskopplung vom neuen Album, die da ´Predator Phoenix´ heißt, gezeigt werden. Unschöne Worte von zornigen Menschen. So wie ich, nicht verhungert, nicht in Armut gefallen. Spaß macht es nicht, beschissen zu werden. Aber die Liebe zur Musik von NACHTMYSTIUM ist stärker in mir. Und an “Prophecy Productions” kann ich bedenkenlos Geld schicken, das kommt an, heil und vollständig. “Prophecy Productions” lieben Künstler mit Ecken und Kanten, so u.a. die umstrittenen Neo Folk Götter ORPLID (deren LP-Box ich mir zugelegt hab) und SOLSTICE, Epic Doom Legende, geführt von Genie, Held und Waffenbruder Rich Walker, gleichzeitig ein Charakterquerkopf vor dem Herrn, der sich gerne mit der woken Cancel Polizei anlegt. Das sind nur ein paar der in dieser Zeit gewagten Kooperationen. Warum also nicht NACHTMYSTIUM?

Eins vorweg, sie sollen mein Geld haben. Ich habe im Black Metal noch nie twangig singende Slidegitarren gehört, die an die sphärischen Momente von Mittsiebziger PINK FLOYD erinnern. Blake Judd macht das einfach. Der macht es halt einfach. Ganz ohne Alkohol und Substanzen inzwischen. Im dritten Song ´A Slow Decay´, der musikalisch so gar nicht für Verfall steht. Vielschichtig, komplex, melodisch und eindringlich. Der keifend grollende Gesang, die rollenden Riffs zuweilen, ja, das ist Black Metal. Der Rest aber kaum. Ich kann nicht komplett erfassen, was hier abgeht. Raserei mit fantastischen Melodien ebenso wie ein Stapfen gleich einem Riesen aus nordischer Mythologie. Die Melodien saugen Dir den letzten Rest Denkvermögen aus der Rübe.

Zuletzt war ich von VEMOD Anfang des Jahres so angetan. Shoegaze Post Black Metal? Ach, Schubladen, geh mir weg. Man ertrinkt ja fast in den Melodien, die wirklich erhaben und schön sind. Wären da nicht so ein paar wogende, sägende Parts und etwas Raserei und natürlich melodischer Gesang, keiner würde von Black Metal sprechen. Aber es ist welcher. Ich kann nicht sagen warum, aber es ist welcher. Bombastisch, melodisch, klanglich hervorragend inszeniert. Aber Black Metal.

Die SARCOFAGO-Fraktion und alte MAYHEM-Fans nehmen sicher Abstand und erachten es für VNTRVE, aber auf wen soll Blake da Rücksicht nehmen? Shoegaze…phuh. Ich hab diesem Begriff nie was abgewinnen können. Ein Höchstmaß Melodie und extreme, räudige Elemente in pompösem Klanggemenge vereint. Ja, nun, nein. Kackbezeichnung. Black Metal.

Ich liebe den melodisch euphorischen Black Metal von NACHTMYSTIUM. Ich hab nie zuvor wirklich optimistischen, fast fröhlichen Black Metal gehört, aber das funktioniert. Ohne Blastbeats und mit Powermetalsirene am Mikro wäre das fast zu doll. Aber Blake Judd ist Meister der Komposition. Seine Songs haben Dramatik, stecken voller Leidenschaft und sind irgendwie frisch. Ohrwurmcharakter gibt es auch. Will ich das beim Black Metal? Tatsächlich, ja. Nach all dem Wahnsinn gerne mal wieder echte Songs.

Schon der Opener ´Survivor’s Remorse´ zeigt bei aller Liebe zu typischen Blasts und rasenden, kratzenden Gitarren mit den sich ans Getöse anschließenden mittelschnellen Parts eine Gothic Rock-Affinität und ein Hymnen-Verständnis. Das wollen die Neandertaler Primitiv Black Metal Höhlenmenschen nicht hören. Aber das ist halt so. Darf Black Metal tanzbar sein? Sexy? Oh dear, wir sind hier nicht in den Hinterhöfen und Kellern in Medellin oder Belo Horizonte. Ein wenig Kunst, ein wenig Pop, ein wenig diabolische, brodelnde Lust und Gier. Auch das ist Underground, weil der Mainstream zu sauber ist, den spirituellen Schmutz hier verdauen zu können.

Der oben schon angesprochene Song ´Predator Phoenix´ hat sogar einen fast an Ska und zuweilen an Pop Punk gemahnenden Beat und eine totale Eingängigkeit in seinen Strukturen. Wäre hier der kratzige Keifgesang nicht, das könnte eine absolute Gothic Rock-Hymne werden. Blake Judd war sich nie zu schade, mit Psychedelic Rock und anderen Elementen zu spielen. Also, Pop geht auch. Geile Platte also durch und durch für wagemutige Musikliebhaber abseits vom Stadion Mainstream, aber auch vom Kellerkombountergrund.

Fantastische Musik mit Popappeal ohne Pop zu sein. Wenn die Band nicht aufs “Prophecy Fest” in die Höhle gehört, dann weiß ich auch nicht. Scheiss auf Kommerz, das hier regiert. Seine beste Platte bisher, deswegen ein Hoch auf Blake Judd.

(9,5 Punkte)

 

https://nachtmystium.bandcamp.com/album/blight-privilege


(VÖ: 1.11.2024)

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