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TYRAN – Tyran’s Oath

~ 2024 (Iron Shield Records) – Stil: Classic Heavy Metal ~


Wir schreiben das Jahr 1985. In den ländlichen Gegenden ganz in der Nähe der belgischen Stadt Aalst schickt sich eine junge, hungrige Truppe namens TYRAN an, ihren regionalen Vorbildern CROSSFIRE und den Nationalhelden OSTROGOTH, KILLER und ACID nachzufolgen auf den Olymp des Heavy Metal. Es sind fünf talentierte junge Burschen, gekleidet in zerschlissene Blue Jeans, T-Shirts bekannter NWoBHM-Gruppen oder ihrer belgischen Vorbilder und Lederjacken. Wahlweise tragen sie an den Füßen weiße Turnschuhe oder Motorradstiefel. Ganz normale Jungs deren größte Liebe neben den Mädchen die Heavy Metal-Musik ist, die durchaus genügend kompositorische Begabung mit sich bringen, schmissige und am Puls der Zeit tickende Hymnen voller lauter Gitarren, donnernder und treibende Rhythmen und charismatisch wilden Gesangsdarbietungen zu erschaffen. Schon ein Titel wie ´Protectors Of Metal´ sagt alles, was denn zu sagen wäre. Wild sind auch die Geschichten über ihre furiosen Auftritte im östlichen Flandern. Bikertreffen, kleine Pubs und Bars, sofern denn kompatibel mit Heavy Metal, dazu das eine oder andere regionale Umsonst-und-draußen-Festival sind ihre bevorzugten Spielwiesen, da es für Auftritte als Support von IRON MAIDEN, SAXON, JUDAS PRIEST oder den SCORPIONS noch an Bekanntheit mangelt. Aber lange wird es nicht mehr bis zum großen Durchbruch dauern. Dazu sind die Songs einfach zu genial und die Auftritte zu intensiv, wenn sich die Gitarristen auf der Bühne über ihre brodelnden Akkordfolgen hinweg zu eruptiven Gitarrensoli aufschwingen, mit denen sie sich scheinbar zu duellieren scheinen. Einzig ihr Sänger, ein gutaussehender Typ Anfang 20, ist dabei kein Belgier, sondern ein in Europa nach einer Rundreise kleben gebliebener Amerikaner aus dem texanischen San Antonio. Seine helle, sich in alle Höhenlagen hochpowernde und schön schneidende Stimme gibt den von Beginn an schlauen einprägsamen Stücken noch den letzten Rest Wiedererkennungswert. Kein Wunder, dass jedes Konzert eine absolut wilde Crowd vor die Bühne bringt.

Und auf einmal klingelt mein Wecker. Wir schreiben das Jahr 2024, ich muss zur Arbeit, statt zum Konzert und befinde mich auch nicht im pulsierenden metallischen Hexenkessel Ostflandern, sondern in einer verschlafenen Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Aus der Traum. Nicht ganz, tatsächlich habe ich am Vortag nach Feierabend über die mir verbleibenden wenigen Stunden hinweg ganz fasziniert mehrfach dieses Album gehört, genannt ´Tyran’s Oath´. Und aufgrund seiner gegebenen Qualitäten und seiner Atmosphäre verfolgt es mich bis in den Schlaf. Aber worüber reden wir hier eigentlich gerade?

Also, TYRAN wurden 2020 noch als MARTYR gegründet und servieren uns ihren Heavy Metal direkt aus Bayern, veröffentlicht bei einem urpreußischen Plattenlabel. Halleluja, was so alles möglich ist. Das Album-Cover könnte tatsächlich von einer neueren Kapelle zwischen Okkult und Black Metal sein. Es ist aber irgendwie herrlich düster und auf gewisse Weise metallisch primitiv. Man erinnere sich an viele 80er Jahre Plattencover im Heavy Metal-Bereich. Eher schlecht gezeichnet, dafür mit einer umso kultigeren Ausstrahlung. Für die Musik des bayerischen Quintetts gelten ähnliche Maßstäbe, obgleich für von der technischen Seite her alles stimmt. Die Burschen können spielen und der Sänger hat trotz seiner oben schon beschriebenen hellen und schneidenden Stimme mächtig Eier in der Hose.

Dass die Songtitel und ihre Inhalte klischeehafter gar nicht sein könnten, möchten wir den jungen Männern mal vergeben. Ich sowieso, weil ich einfach durch und durch eingefleischter Fan bin, generell von beseeltem Heavy Metal. Natürlich habe ich ähnliche Songs, Riffs, Rhythmen und Melodien, in mehr als 100-facher Ausführung daheim in der Sammlung stehen. Natürlich sind das musikalische Geschichten, die mir auf die eine oder andere Weise schon oft erzählt wurden und doch wird meine Leidenschaft nur erneut angefacht und ich werde nicht müde, mich diesen packenden Klängen hinzugeben.

Innovativ ist hier nichts und auch schon vor 40 Jahren wären so manche Ideen hier aalalter Keks gewesen. Aber was hier stimmt, das sind das Lebensgefühl und die wilde, pure Lust an der Musik. Außerdem ist ein Song wie ´Assault´ einfach mitreißend und schmissig, packt dich an der Seele und bleibt daran kleben.

Das mittelschnelle ´Thrill Of The Chase´ danach ist ebenso klassisch wie eindringlich. Cooler Refrain, der eben auch etwas ausladender ist, als beim handelsüblichen Echtmetall mit 80er Prägung, wie er heute oft gespielt wird. Dieser Song hat wohl die urklassischsten britischen Heavy Metal-Einflüsse, die im Grunde zwischen 43 und 46 Jahre schon die Heavy Metal-Welt bestimmen und trotz ihrer Stellung als Standard mit ein wenig Gespür für eine geile Melodieführung auch 2024 noch absolut tolle Heavy Metal-Smasher bilden können.

Ja, es ist mir durchaus bewusst, dass ich den Genre Terminus in diesem Review fast inflationär verwende, aber das liegt auch vornehmlich an meiner schon fast überschwänglichen Freude, die ich beim Anhören dieses Albums empfinde. Das Dilemma des Genres kann man anhand des wirklich guten NWOTHM Kanals auf YouTube sehr gut erkennen. Es wird sich oft von jungen Kapellen bei einer Epoche bedient, die lange vor der Geburt der aktuellen Protagonisten schon vorbei war. Es wird natürlich aus der Liebe zur Musik heraus und aus purer Freude am Musizieren weitere Musik erschaffen, aber die Essenz, die Seele des alten Heavy Metal wird nur selten in die neuen Stücke eingepflanzt. Und somit entsteht eine gewisse Ödnis, die in ihrer Inhaltslosigkeit fast schon erdrückend wirkt. Und auf einmal hast du da dann wieder Bands dabei, die haben was kapiert. TYRAN gehören dazu.

Und wenn ich nach dem stampfenden ´Thrill Of The Chase´ das wieder flotter angelegte ´Highway Warriors´ höre, insbesondere die doppelläufige Gitarrenharmonie, die aus dem Solopart zurück zum Hauptriff und einer weiteren Strophe führt, dann überkommt mich ein Schauer von höchster Freude und tiefster Rührung und ich weine vor Glückseligkeit, da ich beinahe mein Herz zerbersten fühle. Auch hier gibt es eine unglaubliche Vertrautheit mit den Strukturen und der Melodie. Aber auch hier spricht eine pure Leidenschaft aus der Musik.

Wahrscheinlich hätten die Jungs vor 40 Jahren mit ihrem Zauber durchaus was reißen können. Wahrscheinlich aber auch gar nicht so viel, da die geilen Bands aus dem eigenen Lande gerne von der sogenannten Fachpresse vernachlässigt wurden und man schon den Komfort eines Majorlabeldeals genießen musste, um überhaupt ein wenig mehr Wahrnehmung zu erhaschen. An der Qualität dieses Albums hätte es damals nicht gelegen.

Ich freue mich sehr, dass es hier reinen Heavy Metal zu hören gibt, schlicht und einfach, ohne irgendwelche Kompromisse. Wir haben schließlich da draußen schon genug Mischmasch, genügend Epic und genügend Okkult.

Neben den Schweden TYRANN sind diese TYRAN hier eine der coolsten und sympathischsten neuen Bands. No Fashion, just passion. Zudem stimmt einfach alles. Der Sound, das Spiel, die Stimme und die Art des Gesangs, Image und Inhalt, ich würde fast gerne von Perfektion sprechen. Doch Perfektion wäre auch irgendwie der Tod. Egal, Band und Platte sind einfach geil. Und das Label „Iron Shield“ gehört ohnehin zu den umtriebigsten und liebenswertesten seiner Zunft. Diese Konstellation schenkt mir Hoffnung für ein Fortbestehen meiner Lieblingsmusik. Und auch wenn ich so irgendwie als alter weißer Mann und absoluter Gatekeeper erscheine, mit stolzgeschwellter Brust kann ich dem nur beipflichten. Das bin ich, das ist meine Liebe und meine Leidenschaft, das ist meine am liebsten gehörte Musik. Freunde von uralten JUDAS PRIEST, ACCEPT, SAXON und CLOVEN HOOF sollten hier zumindest mal reingehört haben.

(8 Punkte)

 

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