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TOM LIWA – Primzahlen aus dem Bardo

~ 2024 (Independent) – Stil: Singer-Songwriter ~


Tom Liwa erzählt und erzählt, er berichtet quasi aus einer sich ständig drehenden und wendenden Zeitschleife. Die Zeit, mit der er im Vertrauen per Du schien, war ´Eine andere Zeit´. Jetzt erzählt er seine Geschichten aus dem Bardo, aus dem Schwebezustand einer anderen Bewusstseinsebene.

Dass ihm an diesem Ort seines Geistes auch noch Primzahlen, nur durch sich selbst und durch eins teilbare Zahlen entgegensprudeln, erleichtert das Leben und den ganzen Rest unter keinen Umständen. In der anderen Zeit war Tom Liwa wenigstens nur einer der besten Songwriter seiner Generation, jetzt scheint er als revolutionärer Liedermacher über allem und allen anderen zu schweben.

Er ist mittlerweile nicht nur ein großartiger Songwriter und Geschichtenerzähler, sondern die höchste Instanz eines musikalischen Berichterstatters aus deutschen Landen. Er steht über den Dingen und schildert durch einen kleinen Schlitz der Perspektive gedankenverlorene, bisweilen beschwingte Narrationen. Dabei können sich auch ohne Weiteres Raum und Zeit ändern.

Unbeschadet dessen konnte er seine Leuchtturmband nach Bardo hinüberziehen, Gitarrist Björn Ehlen, Bassistin Angela Gobelin, Schlagzeuger Lars Plogschties und Stefan Horlitz am Vibrafon sowie für die infernalischste Besetzung und Tonart Luise Volkmann am Saxophon. Selbst die epischsten Erzählungen werfen daher weder Dichter noch Auditorium aus der Bahn, jeder einzelne Song der vierzehn Kompositionen ist ein eigener Leuchtturm in der Dunkelheit.

Vierzehn Minuten lang schildert Tom Liwa die trostlose Geschichte des erfolglosen Musiktrios ´Space Czechovs´, das letztendlich erst durch glückliche Umstände etwas Kasse machen kann. A&R-Manager, die später im #MeToo-Zusammenhang erwähnt werden, treten dabei neben einem mitsingenden Saxophon und quietschenden Luftballons gleichsam in Erscheinung. Vierzehn Minuten lang legt er außerdem die Geschichten eines Landmädchens in aller Langsamkeit unter dem Titel ´Binnen Meisje´ dar.

Doch selbst die Sieben- und Achtminüter reißen noch jedermann von den Sitzen. Mit seinem „Shabby Vintage Heart“ ist der Protagonist in ´Hemil´ auf der Suche nach seinem Vater, samt halluzinierend psychedelischen Desert- und Saxophon-Einschüben, und einer Kontaktaufnahme zum Fuchs und dem Mädchen. Das ganze Werk wird dabei annäherungsweise zu einer avantgardistischen Vorstellung. Selbst der immer wieder vibrierende Akustiksong ´Malmö 1948´ versichert eine eingekehrte Ordnung in den Nachkriegsjahren. Nur diese ´Mari On´, bekannt von den ´Space Czechovs´, macht was sie will, während in dieser ruckelnden Stimmung erste Primzahlen regnen.

Ein schreiendes Saxophon-Zwischenspiel namens ´Van der Beek Stomp´ und ein edler Saxophon-Rausschmeißer namens ´Van der Beek Toodeloo´ laden obendrein in aller Kürze zum Tanzen ein.

Tom, oder DER, DEN MEIN FREUND KANNTE, erwähnt die beiden Vaterfiguren ´Jack & Neil´ in einem wundersamen, aufsprießenden Folk-Song und erzählt von den drei Freundinnen in ´Bitch E.P.´, während das Saxophon durchgehend jubiliert.

Tom wähnt sich bei ´E qui non la´ in der Gesellschaft von getrennten und ewig beisammen lebenden Seelen sowie mitten im südländischen Lebensgefühl, samt Saxophon und freudigem „Lalalalalalalaaaalaaaa“. Nicht selten singt er einfach wie in ´Stella Oscura´ im Einklang mit dem Saxophon, das sich hier jedoch im Gegensatz zu Toms italienischem Gesang äußerst hysterisch windet.

Mit ´Tommy de Who´ gibt er ein fröhliches Folk-Lied über einige Kindheitserinnerungen zum Besten. Der noch nicht letzte Saxophon-Song zum letzten Funken Hoffnung, der in diesen Tagen der Gegenwart nur aus der Vergangenheit schöpfen und aus dem lieblichen ´The Old Stockholm´ entzündet werden kann, bildet mit dem nächsten Leuchtturm, dem von der Band angetriebenen ´Love Dinner´, den vorläufigen Abschluss, ehe ´Van der Beek Toodeloo´ dieses Wunderwerk schön schaurig tanzend ausklingen lässt.

Doch Tom Liwa erzählt und erzählt, trägt nach den über 85 Minuten des Doppel-Albums ´Primzahlen aus dem Bardo´, samt seiner intimen Ratschläge für das Leben, „Ich halt den Sauger unter das Loch wenn Du bohrst“, sogar noch weitere Geschichten, etwa ´Chinesischer Country’n Western´ oder ´Mit Bobby und Findus: Herz aufm Acker´, auf dem Bonus-Werk ´More To Primes´ im Laufe von fast 20 weiteren Minuten unheimlich stimmig vor.

(Klassiker)

 

https://tomliwa.bandcamp.com/album/primzahlen-aus-dem-bardo

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