MeilensteineOnly Jazz Is RealPlattenkritikenPressfrisch

KAMASI WASHINGTON – Fearless Movement

~ 2024 (Young) – Stil: Jazz, Soul, Funk, Gospel ~


Die Erde hat ihn wieder, der Himmel muss noch warten. Kamasi Washington lässt die überdimensionalen Errungenschaften seiner letzten Werke einfach zwischen Himmel und Erde zurück, seine himmlischen Chöre, seine riesige Armada an Kollaborateuren und das Orchester. Der US-amerikanische Jazzsaxophonist konzentriert sich – auch durch die Geburt seiner Tochter – nunmehr auf alles Irdische.

´Fearless Movement´ beschäftigt sich dementsprechend mit den ersten Schritten und Bewegungen. Fast eineinhalb Stunden lang gerät alles in Bewegung, beginnt zu Schwingen und zu Tanzen, allerdings nicht im gemeinen Wortsinn, sondern in geistiger und kreativer Hinsicht.

Dabei lässt sich Kamasi Washington jedoch nicht von seinen kollektiven Vorstellungen abbringen und hat nicht nur seine Mitmusiker von WEST COAST GET DOWN ins Studio geholt, um diese neuerliche Expedition durch Fusion und Jazz zu bestreiten, sondern musiziert gemeinsam mit Brandon Coleman an den Keyboards, Cameron Graves am Piano, Dontae Winslow an der Trompete und Ryan Porter an der Posaune, sowie zwei Schlagzeugern, Ronald Bruner Jr. und Tony Austin, und obendrein fast durchgehend mit zwei Perkussionisten, Allakoi Peete und Kahlil Cummings.

Kamasi Washington ist längst aus dem goldenen Zeitalter des Jazz in der Gegenwart angekommen. Selbst mit einigen nicht von allen geliebten Rap-Parts setzt er seine Jazz-Erkundungen fort. In seinem fünften Studioalbum steckt viel Leben, damit er die eigene Sterblichkeit vergisst, wenn er seiner lebhaften und quicklebendigen Tochter gewahr wird.

Daher wird in der Eröffnung ´Lesanu´ zuerst der Allmächtige auf Altäthiopisch-Ge’ez gepriesen, ehe das Klavier die sakrale Zeremonie zum Post-Bop führt und das Tenorsaxophon in die Melodieführung einsteigt, um im irdischen, wonnigen und 9-minütigen Chaos beim hinzustoßenden Händeklatschen zu versinken. Gleichwohl erklingt in der Folge zu Beginn von ´Asha The First´ himmlischer Chorgesang, der von Thundercats (SUICIDAL TENDENCIES, Kendrick Lamar) rumorendem Bass-Solo und Washingtons funky Tenorsaxophon-Solo abgelöst wird. Danach bestimmt freilich der rappende Wechselgesang von Taj und Ras Austin bis zum neuerlichen Chorgesang die 8-minütige Komposition.

Dem Soundbild angemessen schließt sich der groovige Funk-Song ´Get Lit´ mit Rickey Washingtons Flöte und George Clinton (P-FUNK, FUNKADELIC) sowie Rapper D Smoke am Mikrofon an. Über 9 Minuten zelebrieren sie sodann in aller Coolness mit Patrice Quinn am Gesang und Brandon Coleman am Vocoder den sexy Achtzigerjahre Funk-Hit ´Computer Love´ der Gruppe ZAPP, samt Terrace Martin am Altsaxophon.

Minimalistisch und abstrakt zeigt sich nunmehr das beinahe 9-minütige Instrumental-Stück ´Dream State´ mit sphärischen Synthesizern und Flötenbeiträgen von André 3000 (OUTKAST) zum Tenorsaxophonspiel von Kamasi Washington. Sinfonisch und majestätisch präsentiert sich hingegen das von Brandon Coleman komponierte Instrumental-Stück ´Interstellar Peace (The Last Stance)´, eine feierliche Hymne in der Stille des Weltalls.

Der transzendente Chor führt das Post-Bob-Stück ´The Garden Path´ mit Sänger Dwight Trible auf seinen Weg, auf dem sich Kamasi Washington zu den unheimlich wilden Percussions und den beiden Schlagzeugern beschwingt auslebt. ´Road To Self (KO)´ ist schließlich die 13-minütige, instrumentale Reise aus sanften Klängen heraus über Jazz, Funk und Fusion zur Bewusstseinsfindung.

Die vom Posaunisten Ryan Porter komponierte Ballade ´Together´ singt BJ the Chicago Kid im letzten Drittel zu sanften Jazz-Orchesterklängen. Den warmen Klang der Sehnsucht nach irdischer Freiheit holt letztlich das hitverdächtige ´Lines In The Sand´ erneut mit Patrice Quinn am Gesang und Rickey Washingtons Flöte zurück ins Bewusstsein.

Der 8-minütige ´Prologue´, im Original aus der Feder des Argentiniers Astor Piazzolla noch nicht einmal 2-minütig, läutet das endgültige Ende ein und entwickelt sich zu einer schwungvollen sowie melodischen Jazz-Rock-Fusion, bei der sich neben Kamasi Washingtons Tenorsaxophon ein Tohuwabohu aus Percussions, Schlagzeug und Bass imposant um sich greift. Ton für Ton bläst Kamasi Washington, immer schneller und leichtherziger, damit wir fortan auf Erden um jeden einzelnen Ton herumtanzen können.

(9,5 Punkte)

 

 

https://kamasiwashington.bandcamp.com/album/fearless-movement
https://www.facebook.com/kamasiw