JOE HENDERSON – Power To The People
~ 1969/2024 (Milestone/Concord) – Stil: Jazz ~
Der US-amerikanische Jazz-Tenorsaxophonist Joe Henderson nahm über vier Jahrzehnte unter eigenem Namen oder unter der Führung anderer Alben auf. Allein für “Blue Note” können über 30 Werke verzeichnet werden, welche mit traditionellem Hard Bop als auch auf neuen Wegen, darunter großartige Scheiben mit Lee Morgan (´The Sidewinder´, 1964), Horace Silver (´Song For My Father´, 1965) und Herbie Hancock (´The Prisoner´, 1970).
Anschließend unterschrieb er auch bei anderen Plattenfirmen. Bei “Milestone” begann er, mit Jazz-Funk-Fusion zu experimentieren und sein zunehmendes politisches und soziales Bewusstsein in Alben wie ´Power To The People´ (1969), ´In Pursuit Of Blackness´ (1971) oder ´Black Narcissus´ (1977) zu bezeugen.
Nach seinen eigenen Meilensteinen, ´Page One´ (1963), ´Our Thing´ (1964), ´In ‘n Out´ (1965), ´Inner Urge´ (1966) oder ´Mode For Joe´ (1966), war ´Power To The People´ sein nächster großer Wurf, vielleicht das allerbeste Album seiner Karriere.
Am 23. und 29. Mai 1969 kam Tenorsaxophonist Joe Henderson in den “Plaza Sound Studios” von New York City mit Schlagzeuger Jack DeJohnette, Bassist Ron Carter und Pianist Herbie Hancock zusammen. Daneben spielte auch Trompeter Mike Lawrence auf zwei Kompositionen. Ron Carter nutzte erstmals auf einem Joe Henderson-Album einen elektrischen Bass und Herbie Hancock ein Fender Rhodes.
Es waren gesellschaftlich turbulente Zeiten und auch die Jazz-Szene befand sich im Umbruch, die Aufnahmen wurden elektronischer und modaler. Joe Henderson nutzte auf ´Power To The People´ somit vorausschauend akustische als auch elektrische Klaviere und Bässe. Musikalisch ließ er modale als auch avantgardistische Neigungen zu.
Nach über 50 Jahren erscheint aktuell das meisterhafte ´Power To The People´ in der “Jazz Dispensary Top Shelf Serie” via “Craft Recordings” endlich wieder auf Vinyl und kann vollumfänglich mit einer Serie wie der von “Blue Notes Tone Poet” mithalten. Durch Kevin Gray von den Originalbändern gänzlich analog geschnitten, bei RTI auf 180g-Vinyl gepresst, ist das Vinyl in einem, der Originalverpackung nachempfundenen Klappcover untergebracht.
Beim Auflegen ist in ´Black Narcissus´ sofort das sanfte, geradezu ätherische Zusammenspiel zwischen Herbie Hancocks Fender Rhodes und Joe Hendersons Tenorsaxophon wahrzunehmen. Aus jeder Schwingung strahlt die Magie und ebenfalls die urwüchsige Kraft, sobald sie dynamisch im Zusammenwirken mit Ron Carters Bass und Jack DeJohnettes Schlagzeug entschieden lauter werden.
Bei Joe Henderson und seinen Mannen sind die Siebzigerjahre schon längst zu spüren und zu hören. Der vorgelegte Sound brodelt durch den zusätzlichen Einsatz von Trompeter Mike Lawrence in ´Afro-Centric´ regelrecht über. Joe Henderson ist in großartiger Form und hat auch einige Ideen parat.
In den Songs mit Piano und Doublebass, in der modularen Ballade ´Opus One-Point-Five´ von Ron Carter, in der überarbeiteten, aus dem 1966er Album ´Inner Urge´ bekannten Komposition ´Isotope´ und dem abermals aufgenommenen Standard ´Lazy Afternoon´ spielt das Quartett natürlich eine Spur traditioneller auf.
Dagegen beweisen sie durch die abermalige Anwesenheit von Trompeter Mike Lawrence als Quintett im beinahe neunminütigen Titelstück ´Power To The People´ nochmals all ihre hohen Qualitäten. Wild und besessen erscheint bisweilen ihr Spiel, nicht nur das von Joe Henderson. Im siebenminütigen Finale ´Foresight And Afterthought (An Impromptu Suite In Three Movements)´ zelebrieren sie hingegen ohne Herbie Hancock nur zu Dritt einige avantgardistische Ansätze.
Beim Erstgenuss dieser Scheibe wird allerdings bereits die Eröffnungskomposition ´Black Narcissus´ jeden Hörer oder jede Hörerin wachküssen, um spätestens mit ´Afro-Centric´ und ´Power To The People´ alle in die wonnige Ekstase zu treiben. ´Power To The People´ ist bis zum heutigen Tag ein prachtvolles, bislang vernachlässigtes Schätzchen geblieben.
(Klassiker)
Joe Henderson — Tenorsaxophon
Herbie Hancock — Piano (# 3, 4, 6), Fender Rhodes (# 1, 2, 5)
Ron Carter — Doublebass (# 1, 3, 4, 6, 7), Electric Bass (# 2, 5)
Jack DeJohnette — Drums
Mike Lawrence — Trompete (# 2, 5)
https://www.facebook.com/joehendersonbluenote
Epilog: Joe Henderson würde mit Ron Carter und Jack DeJohnette noch sein nächstes 1972er Studioalbum ´Black Is The Color´ einspielen. Mit Ron Carter und Herbie Hancock würde sich Joe Henderson sogar bald im Studio bei Trompeter Freddie Hubbard einfinden und alles zwischen Jazz und Fusion, Funk und Soul möglich sein, um Freddie Hubbards 1970er Album ´Red Clay´ und 1971er ´Straight Life´ fertigzustellen.