DAYFLY’S DIARY – See The Light
~ 2024 (Eigenproduktion) – Metallischer Gefühls-Kauzprog ~
Noone will tell
If there’s a heaven or a flaming hell
When you hear the reaper call
Can you make peace with life after all?
Merkt ihn euch, diesen Namen. DAYFLY’S DIARY. Denn wer das Licht am Ende des Jahres sehen will, muss ihn auf seiner Liste und im Hirn eingebrannt haben. Der Rest vom Prog kann weg, wenn man von 10 Stilrichtungen jede mit nur einem Album würdigen will.
Harte Worte von jemandem, dessen Musikgeschmack so beschränkt ist, dass er nicht mal Jazz kapiert. Dennoch – in manchen Fällen liege ich bisweilen gar nicht so weit daneben… möglicherweise auch nicht hierbei. Also kauft das Ding hier, verdammt!
Doch fangen wir erstmal ganz vorne an: Eine alte Seele kehrt im Jahre 1974 in der Gestalt eines unschuldigen Kindes wieder zurück auf diese allzu flache Erdenscheibe und lässt sich in Elmshorn bei Hamburg nieder. Sein echter Name ging im Laufe der Jahrhunderte nie verloren, deshalb vergaß man seinen bürgerlichen Namen recht schnell, aber wurde Mitte der 90er abermals auf ihn aufmerksam, als er sich als ein gewisser Börje Lokisson seines alten Lebens erinnerte und die sagenumwobenen Weisen und Erzählungen in ein neues Gewand kleidete, welches es ihm in diesem neuen Zeitalter angetan hatte: ROCK.
Er war dem Rock recht schnell verfallen, egal ob 70er, Krautrock, Spacerock, Hardrock, Kauzrock, Progrock bis hin zum Metal. Da einige unserer modernen Erdenkinder jedoch mit seinem geliebten Mittelalterrock so gar nichts anfangen konnten, lebte er sich auch in der rein textlich mit Rittern, Schwertern, Schlachtrössern und Drachen liebäugelnden Metalszene in den Formationen RITUAL STEEL und TITAN STEELE aus. Ja, spätestens jetzt habt ihr’s: Sein alle Zeiten überdauernder Name lautet SIR LORD DOOM… und ja, er legt euch hier auf Saitenkult regelmäßig leckere Scheiben ans Herz.
Ebendieser grenzenlose Musikbegeisterte komplettierte nach dem Abgang ihres Sängers Florian Lindemann die Finalisten des Hamburger OXMOX-Bandcontest von 2016: DAYFLY’S DIARY. Nun konnte endlich das lang erwartete Debut eingetütet werden und ´See The Light´ erblickte Kreissaalfrisch das Licht der Musikwelt und wird hoffentlich nicht das letzte Werk dieser Ausnahmeband bleiben.
Da ich bekannt dafür bin, ohne emotionale Bindungen, rein objektiv an neue Alben heranzugehen, ohne brüderliche Sympathiepunkte zu vergeben – die ich sowieso nicht vergebe – war ich die perfekte Wahl für diesen Aufsatz, bevor uns noch jemand Vetternwirtschaft vorwirft. Also, let’s go:
Sir Lord Doom (der Kürze halber ab jetzt “SLD”) hat – wie ihr mittlerweile alle wissen solltet – einen sehr breitgefächerten Geschmack und steht auf Musik, die Emotionen hervorruft. Und genau da sind wir mit DAYFLY’S DIARY zu Hause. Wem der Hardcore-Kauz zu sperrig, der Progrock oft zu verkopft und der Metal zu metallisch daherkommt, der ist hier genau richtig.
DAYFLY’S DIARY bringen die großen Gefühle zurück auf die Leinwand der Breitbildmusik und geben dem Ganzen mit fetten Gitarren einen schönen Wumms. SLDs Stimme besitzt die Kraft eines Peavy von RAGE und die Tiefe im Ausdruck wie ein Fish von MARILLION – jedoch ohne wie der Eine oder der Andere zu klingen. Komplett eigenständig zeigt sich dazu auch die Musik, die gerade von den stimmungsvollen Soli an die einst singende Gitarre eines Steve Rothery (ebenfalls MARILLION) erinnert.
Die Heavyness der Gitarren zerpflückt zu keiner Zeit die melodischen Kompositionen, wie es alle DT-Epigonen so gerne tun. Und nein – mit irgendwelchem typischen „Progmetal“ haben DAYFLY’S DIARY so rein gar nichts gemein. Wenn mir ein hinkender Vergleich erlaubt sei, dann lediglich mit den legendären ARAGON aus Melbourne, die von Down Under abseits der gesamten britischen Neoprog-Szene mein Verständnis dieser Musik auf dem emotionalen Sektor besonders mit ´The Meeting´ und dem ´Rocking Horse´ revolutionierten. Ebenso einzigartig gehen DAYFLY’S DIARY zu Werke.
Die Orgel eröffnet das Oratorium beim Opener ´Rising´, melodische Gitarren versprechen direkt Großes und wenn SLD selbst einsetzt, weiß man sofort, dass hier überhaupt nichts mehr schiefgehen kann. Diese herrliche Dramatik und Sentimentalität zieht sich durch das komplette Album, doch DAYFLY’S DIARY sind weit entfernt von weinerlichen Ballädchen.
Die strahlende Kraft der Kompositionen ist allgegenwärtig und der Tenor ist trotz nachdenklicher Lyrics durchweg positiv. ´See The Light´ scheint die Message zu sein bei allem, was im Leben so schiefgehen kann.
Wann habe ich zuletzt Soli gehört, die Songs derart unterstützen und das Feeling parallel zum Gesang tragen? Fett und kraftstrotzend nimmt euch ´Bold´ mit auf die Reise. Nun kommt kontrastreich der brüllende Kauz aus der Ecke, bevor die Erinnerung an wirklich bedeutenden Progrock der 90er mich doch fast rührselig stimmt.
Dig me no grave and sing me no songs
Don’t you mourn for me
I will be coming home soon
Was danach im gleichen Song passiert, ist schlichtweg überirdisch und lässt ´Bold´ zu einem gigantischen Song explodieren. Und zwar mit den psychedelischen Triebwerken, die die Reise zum Spacetrip machen, das verlangt unbedingt nach etwas Spice oder was euch sonst so anturnt unterstützend zu grandioser Musik.
Uff. Soviel Klasse auf drei Songs muss man erstmal verkraften. Nix da, weiter geht’s mit dem Überhit ´I Can’t Breathe Anymore´, den die kleine Karin neben mir auf der Couch spontan aus voller Kehle mitsingt. Das Pianothema zieht sich wie ein Mantra durch den Song, wieder setzen Gitarre und Rhythmusgruppe einen Höhepunkt, der durch Tonartwechsel und SLDs flehendem Gesang noch multipliziert wird.
What if the stars fall down again?
What if the world stops turning then?
What if my heart stops beating again?
What if I can’t stand to lose it again?
Einem Hammer folgt in präziser Konsequenz der nächste Ohrenschmaus und ich habe mich endgültig willenlos hingegeben und schnuppere am ´Stardust´. Geheimnisvoll, packend, beschwörend, tragisch, dramatisch – wie auch ´Confusion´. Den Song, den ARAGON nie aufgenommen haben und der einen sehr geilen Mittelpart offeriert, der mich… erinnert… an eine… mann, wie klingt’s denn… it sounds like a melody!
´Save Me´ möchte ich als Hymne der Hoffnung all’ denen widmen, die Verlust erlitten haben, stets auf der Suche sind oder alle Zuversicht verloren haben. Dieser wunderschöne Song macht das Leben sieben magische Minuten lang so lebenswert, wie es nur sein kann. Meine Karin fühlt gar den Geist der mächtigen GROBSCHNITT zu vernehmen. Habe ich schon die fabulöse Gitarrenarbeit in Riff- und Solokunst erwähnt? Positiv und absolut unkitschig – ein unbestreitbares Lied des Jahres, welches die Trübsal für einige Zeit wegblasen kann. Bei wem es nicht funktioniert: Dein Zustand ist akut. Suche deinen Therapeuten oder Facharzt auf. Kein Witz, ich weiß von was ich rede.
Auch der Norden wurde nicht vergessen, denn der in deutsch vorgetragene ´Feuervogel´ schlägt die Brücke zu SLDs langjähriger musikalischer Heimat als auch zu Bands wie TRAUMHAUS oder gar GOETHES ERBEN (wenn Oswald Henke singen könnte) und könnte auch die Independent-Fraktion in ihren Gotischen Tanzpalästen zur Ekstase bringen. Sogar mit einer singenden MARILLION-Gitarre.
Breite Deine Flügel aus
Schwing Dich hoch in die Lüfte auf
Nimm Dein Herz, lass es laut schlagen
Bekämpfe nicht des Lebens Lauf
Genug der Worte, wer bis jetzt noch nicht entschieden hat, sofort alle Hebel in Bewegung zu setzen, um noch eines der 300 Exemplare zu ergattern, der kann mit kraftvollem Prog wie ihn ARENA, THRESHOLD oder eben jene legendären ARAGON spielen nix anfangen. Basta. Und heult mir ja nicht rum, wenn ihr euch erst Ende des Jahres wieder an den Namen DAYFLY’S DIARY erinnert, wenn er zumindest in meiner Liste ganz weit oben auftaucht. Ich hab’s euch gleich am Anfang gesagt. Der Kreis schliesst sich. Wer ist eigentlich dieser Sascha?
Diese Musiker machen den Prog great again:
Sascha – Gesang
Christoph – Gitarre
Wolfgang – Bass
Michael – Keyboard
Stefan – Gitarre
Karsten – Schlagzeug