KIM GORDON – The Collective
~ 2024 (Matador) – Stil: Trip Hop/Dub/Industrial/Electronica ~
Kim Gordon, inzwischen schon seit Jahrzehnten eine Ikone des Indie Rock, kann auf eine höchst illustre Karriere zurückblicken, die von der Pionierin des Mainstream-No Wave bis hin zur Neugestaltung der Landschaft des modernen Alternative Rock an der Seite von SONIC YOUTH reicht. Ihre Besonderheit lag schon von jeher in ihrem ständigen Streben nach Innovation und ihrer standhaften Weigerung, gewohntes Terrain zu betreten, was sich nun auch auf ihrem neuesten Album ´The Collective´ zeigt.
Das Anhören ihres erst zweiten, reinen Soloalbums fühlt sich an, als würde man in einem Tagebuch blättern. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen intimen Bericht über ihre innersten Gedanken, sondern um eine Ansammlung von Gedankenströmen des Bewusstseins, vereinzelten Pastiches der Popkultur und grob skizzierten gesellschaftlichen Beobachtungen, und es zeigt erstmals, wie Gordon unbequeme Wahrheiten durch schleichende Trip Hop-Sounds und knackige Industrial-Rhythmen vermittelt.
Von den ersten Akkorden des Openers ´BYE BYE´ an ist ´The Collective´ so komplex wie es nur geht und erfordert Konzentration durch eine Vielzahl von Ebenen und durchschlagenden musikalischen Arrangements. Dabei präsentiert die Künstlerin überwiegend starke Verzerrungen und pumpende Techno-Beats, und es beweist erneut, dass ihre Arbeit schon immer eher wie ein konzeptionelles Performance-Stück und nicht wie Musik für den Massenkonsum wirkte.
Die Momente von ´Tree House´ hingegen sind etwas gitarrenlastiger, wobei statische Hallabschnitte an Gordons immer schwer fassbaren Äußerungen kratzen, während ´I’m A Man´ mit Avant Rap-Zwischenspielen in Trip Hop-Terrain vordringt.
Weitere Highlights sind ´It’s Dark Inside´, ein dichtes, geräuschlastiges Stück, das von heulenden Verzerrungen angetrieben wird, und der klappernde, klaustrophobische Song ´The Believers´, mit stacheligen Techno-Beats, die unter der rissigen Fassade ihres Gesang schäumen.
Am Ende des Albums mit ´Dream Dollar´ spürt man schließlich deutlich, wie sich geradezu die Wände schließen, und es zeigt sich die Distanz, die Gordon sowohl auf dem Album als auch im Laufe ihrer Karriere zurückgelegt hat – die Kluft zwischen Musik und Kunst scheint kleiner als je zuvor.
Gordon demonstriert auf ´The Collective´ eine Art gehemmte Befreiung, sie schwelgt in dystopischen Klanglandschaften, umarmt unheilvolle Ängste und veröffentlicht ein Album, das über Kategorisierungen weit hinausgeht. Ein spannender Hörgenuss, der mit zunehmender Tiefe etwas Neues bietet und Gordon die bisher womöglich faszinierendste Phase ihrer musikalischen Reise vor Augen führt.
(9 Punkte)
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Pic: Danielle Neu