SENTRY – Sentry
~ 2024 (High Roller Records) – Stil: Heavy Metal ~
Die deutsch-amerikanische Freundschaft MANILLA ROAD nahm ja 2018 im Sommer durch den tragischen Tod von Mastermind Mark Shelton als musizierende Einheit ein jähes Ende. Die verbliebenen Musiker hingegen behielten ihre Blutsbrüderschaft des epischen Metal mit Kauzfaktor im Herzen und nach einiger Zeit reifte in ihnen der Entschluss, neue Musik zu erschaffen, die die Seele von MANILLA ROAD am Leben und doch ein neues, eigenes Kapitel aufschlagen sollte.
Im März 2024 wird dann die Welt erschüttert von dem neuen Werk. Zumindest jene Bubble an Leuten, welche in den letzten Jahren seit der Reformation von MANILLA ROAD diese durchaus eckige und kantige, teilweise schroffe und abenteuerliche Musik geliebt haben. Dabei geht es hier auf der Platte durchaus im Sinne von der einstigen Mutterband abwechslungsreich zu.
Sänger Hellroadie hat sich aus dem Schatten des altehrwürdigen Shark befreit, ist als eigenständiger Frontmann ja längst anerkannt und nun lässt er seiner Stimme mehr Raum und sich selbst in ihr erkennen. Das kauzig liebenswerte Näseln des Sharks fehlt zwar irgendwie und kommt nicht wieder, aber eine ebenbürtige Ausdruckskraft besitzt Bryan Patrick aka Hellroadie auf alle Fälle. Und so wird der Opener ´Dark Matter´ schon zu einem wunderbaren Ritt durch alles, was MANILLA ROAD ausmachte und SENTRY ausmachen wird. Verquere, aber eindringliche Heavy Riffs, schnelle Passagen mit packender Atmosphäre, vielseitiger, melodischer bis grollender Gesang und ein bleibendes Element. Epic Metal für die Ewigkeit.
Mit ´The Haunting´ wird halbwegs doomig und sehr majestätisch an der Spannungsschraube gedreht. Und das Feeling ist so untypisch für die Wichita / Kansas Legende. Melodien kriechen Dir unter die Haut und tief in die Seele. Dem schleppenden und dahinwogenden Aspekt werden da und dort etwas flottere Parts hinzugefügt. So bleibt das Hörerlebnis frisch. 1980 bis 1983 scheint durch den dichten Schleier der Erinnerung. Kallis Soli sind anders als die vom Shark, aber verdammt wild und intensiv und sie singen feurige Melodien zu den hypnotischen Riffs und Rhythmen. Perfektion.
Und dann der vom Demo bekannte und geliebte Kracher ´Heavensent´, so anrührend in seiner Melodieverliebtheit. Hier wird eine neue Legende von Song geboren. Ich habe in den letzten Jahren wenige so wunderschöne Melodien gehört. Auch von MANILLA ROAD selbst. Ich kann eine gewaltige Crowd von schmachtenden Headbangern sehen, wie sie die Strophenmelodie mitsingen und dann beim Refrain in ausgelassene Tänze ausbrechen. Trotz des verspielten instrumentalen Hintergrunds mit wunderbaren Rhythmusfiguren von Drummer Neudi ist die Struktur des Stücks sehr einprägsam. Wundervoll der Orgelton beim Wiedereinstieg in die Strophenmelodie nach einem treibenderen Gesangsabschnitt. Auch hier wieder Soli von unweltlicher Größe. Blut und Flammen entspringen meinem Herzen, während dieser Song in meine Seele dringt.
Mit einem akustischen Gitarrenlauf verbreitet ´Valkyries Raise The Hammer´ zunächst ein nordisch trockenes und unterkühltes Folkfeeling, aber das Heavy Metal-Inferno bricht alsbald über uns herein. Wieder urtypischer MANILLA ROAD-Metal, episch, groß, verquere, verspielt. Und wieder von typischen Gesangslinien und Strukturen bestimmt. Und wieder so erfrischend und magisch, als wäre es das erste Mal, dass mich diese Band verzaubert. Bryan growlt auch mal in diesem Stück. Die Solopassage mit Kallis packenden Läufen, die mehr Song im Song als nur selbstdarstellerisches Gefiedel sind, hat einen fast schon euphorischen Ausdruck, der Rest ist dunkel und grimmig, aber mehr wie eine Geschichte aus vergessenen Tagen, die uns ein alter Mann erzählt. Solch eine Intensität hatten selbst MANILLA ROAD länger nicht.
Das Erwachen in ´Awakening´ wird von einem sinistren Klavierpart angekündigt, dann rast und tobt ein wütendes Thrashriff mit beinahe blastenden Beats. Aber auch ganz tiefe Abgründe tun sich hier auf, mit schmierigen Riffs und Erzählstimme. Thrashige Beats unter irrsinnigen und doch melodischen Soli, dazu ein tänzelnder Bass mit morbider Melodie, Hellroadies urige Melodien neben Deathgrowls, heroische Gitarrenleads und echte Deathmetalriffs, das Stück ist echt eine Bombe.
Verschnaufpause ist dann das doomige ´Black Candles´ im Walzertakt. Hier hat man ob der erzählerischen Intensität ganz düstere, schon unaussprechliche Szenen vor Augen. Das Stück ist wiederum verspielt und doch einfach nachzuvollziehen. Und wieder wird niemand darauf kommen, hier eine andere Band zu hören als MANILLA ROAD. Es tut mir leid, ich muss diesen Namen immer wieder anbringen. Es ist nun mal die Fortsetzung und bis auf die Tatsache, dass Kalli Goldsmith nun Gitarre spielt, gibt es genau das auf die Ohren, was man in den letzten Jahren auf Alben wie ´Mysterium´, ´The Blessed Curse´ und ´To Kill A King´ gerne hören mochte und man geht noch weiter in die Geschichte zurück. 1983 bis 1988 werden nicht ausgelassen.
Die vier Recken aus Deutschland und den USA kopieren nicht, empfinden auch nicht einfach nach. Sie schreiben ein neues Kapitel der epischen Sage von der MANILLA ROAD. Ein ruhiges und irgendwie traumhaftes Dahinfließen mit coolen Bass- und Drum-Läufen ist das balladeske ´Raven’s Night´. Manche Melodie hat einen sehr sanften, versöhnlichen Charakter. Auch wenn es heavier und kraftvoller wird. Es passiert am Bass sehr viel im Hintergrund. Insgesamt ist dieser Song erneut ein Soulcrusher, ein Seelenzerschmetterer.
Diese Platte ist gewaltig. Diese Platte ist bedeutsam. Wird keiner der Mainstreambrüder mitkriegen. Dem schnöden Partypöbel der großen Events ist es eh egal, die sind ob dieser Tiefe restlos überfordert. Und nach Geballere braucht es einem auch nicht sein. Aber SENTRY haben hier etwas geschaffen, das verschiedene Gruppen, Cliquen und Bubbles vereint.
´Funeral´ wird nur von Stimme und Bass getragen, trauernd und zutiefst melancholisch den Abschied verkündend, bis ein für diese Band so typischer hymnischer Metal ganz kurz den Neubeginn beschwört und dann wieder zusammenbricht. Glockenschläge und Wind begleiten dann den Verstorbenen in die Tiefe des Grabes. Eine Hommage an den Shark, denke ich. Eine düstere Stimme spricht verzerrt die Einleitung zu ´Incarnation Of Evil´. Irgendwie kommt mir das vertraut vor. Episch, etwas schleppend, heroisch. Ich hab das schon gehört, aber w…Mist…na klaro. SENTRY covern da grad CANDLEMASS und ich steh auf dem Schlauch. Auch wenn sie das nicht müssen, weil sie aus eigenem Antrieb so irrsinnig gut sind, ist dieser Song, ursprünglich 1988 auf dem ´Ancient Dreams´-Klassiker der Schweden erschienen, ein wundervoller Abschluss und passt einfach zum SENTRY Meisterwerk, als wäre es ein eigenes Stück.
Ich wünsche mir zu sehr, dass sich Neudi, Bryan, Kalli und Phil da am Anfang von etwas Großem befinden, denn für eine einmalige Shark-Hommage ist das hier einfach zu überwältigend. Solch gewaltige Platten dürfte es doch eigentlich nicht mehr geben. In diesem Sinne, noch vor CIRITH UNGOL, die beste Band der 20er Jahre.
10 von 10
(VÖ: 1.03.2024)