KAREN DALTON – In My Own Time
~ 1971/2022 (Light In The Attic) – Stil: Folk/Blues/Country ~
Die US-amerikanische Sängerin und Gitarristin Karen J. Dalton wuchs in Oklahoma auf, wurde allerdings am 19. Juli 1937 in Texas geboren. Erst mit 21 Jahren tauchte sie urplötzlich in der Folk-Szene von Greenwich Village, New York City, auf und spielte im “Cock and Bull”, “The Bitter End”, “Cafe Au Go Go” oder “The Gaslight Café”. Sie hatte bereits zwei Scheidungen hinter sich und bei einem Streit zweier Freunde zwei Zähne verloren. Sie zog nicht nur mit einer ihrer Töchter um, sondern auch mit ihrer zwölfsaitigen Gitarre und ihrem Langhalsbanjo.
Obwohl Musiker wie Bob Dylan, Fred Neil, Richard Tucker und Tim Hardin von ihrem Talent überzeugt waren, trat sie ungern live auf und weigerte sich sogar, ihre eigenen Songs vorzutragen. Ihr Alkohol- und Heroinkonsum bewirkte noch das Übrige. Dementsprechend gelang es auch Produzent Nick Venet anfangs überhaupt nicht, mit ihr das erste Album ´It’s So Hard To Tell Who’s Going To Love You The Best´ (1969) aufzunehmen. Für ihr zweites Album ´In My Own Time´ (1971) ließ hingegen Produzent Harvey Brooks äußerst einfühlsam Daltons zwei Kinder, ihren Hund und ihr Pferd zum Studio bringen.
Echte Bewunderung und Verehrung sollte Karen Dalton allerdings erst in späteren Jahren, wiederum von Musikerkollegen wie Nick Cave, Devendra Banhart und Joanna Newsom erfahren. Sie war „die Antwort der Folk-Sängerin auf Billie Holiday“, dabei war Bessie Smith ein viel größerer Einfluss. Sie lernte immerfort die Lieder ihrer Kollegen, die sie auf ihre ureigene Art und Weise vortrug. Sie machte sich all ihre vorgetragenen und eingespielten Lieder zu eigen. Sie änderte Noten und Rhythmus und glich den Text an ihre weibliche Sichtweise an. Sie war einzigartig, sie war mehr Blues- und Jazz- als Folk-Sängerin. Sie lebte immer am Rande des Abgrunds, ehe sie sich in die Abgeschiedenheit zurückzog. Sie und ihre verrückte Stimme musste geliebt werden.
Im Gegensatz zu ihrem Debüt gelang es mit einer großen und professionellen Bandbesetzung in ´In My Own Time´ die Darbietungen des Folk, Country, Rock, Jazz und Soul leicht und einheitlich tönen zu lassen. Beim Debüt musste bei solch einer fortwährend zweifelnden Sängerin der erste Take sitzen, diesmal spielte sie die Songs gegebenenfalls auch in mehreren Takes ein.
Karen Dalton hauchte den kargen Traditionsliedern ´Same Old Man´ und ´Katie Cruel´ mit ihrem Banjo-Spiel als auch den aktuellen Liedern wie ´In A Station´ von Richard Manuel einen vollkommen frischen Geist ein, selbst wenn ihre Stimme dabei in aller Zartheit zerbrach. Sie stellte sich in Songs wie ´Something On Your Mind´ einfach in den Mittelpunkt und überstrahlte alle anderen Instrumentaltöne um sich herum. Sie, die ohne ihre Gitarre im Privaten schüchtern und sensibel wirkte, wurde in ´Take Me´ von George Jones zur Kommandierenden. Sie schien sich in einen Song wie ´When A Man Loves A Woman´ derart hineinzuversetzen, dass sie wie von Geisterhand durch ihn hindurch und auf bislang unbekannten Melodiefolgen fortgetragen wurde. Selbst den Blues trug sie wie kaum jemand anderes vor, vergaß die Motown-Vergangenheit von ´How Sweet It Is (To Be Loved By You)´ sowie in Paul Butterfields ´In My Own Dream´ Zeit, Raum und Takt und sang wie eine Jazzsängerin.
Nicht oft durfte die Welt solche eine stilvolle und emotionale Sängerin erleben. Karen Dalton erschien aus heiterem Himmel in der New Yorker Folk-Szene der Sechzigerjahre. Die temperamentvolle und exzentrische Sängerin begeisterte umgehend jeden mit ihrem einzigartigen Gesang und ihrer einzigartigen Aura. Sie ging in den wenigen Jahren ihrer Präsenz in der Szene unbeirrt ihren eigenen Weg. Sie spielte am liebsten auf dem heimischen Sofa und stellte mit den anwesenden Musikern eine Band zusammen. Dennoch konnte sie zu zwei Studioaufnahmesessions überredet werden. Doch so plötzlich, wie Karen Dalton nach New York gekommen war, verschwand sie auch wieder. Sie starb am 19. März 1993 im Alter von 55 Jahren in Woodstock. Ihre beiden Alben ´It’s So Hard To Tell Who’s Going To Love You The Best´ und ´In My Own Time´ sind allein ein viel zu geringes Vermächtnis.
(Klassiker)