WISHBONE ASH – Live Dates Live
~ 2023 (Steamhammer) – Stil: Classic Rock / Hard Rock ~
Skepsis. Das war meine erste Reaktion, als ich von dieser Veröffentlichung gehört habe. Warum? Ist doch klar. Wie kann eines der besten Live-Alben aller Zeiten (´Live Dates´ von 1973) nach fünfzig Jahren noch einmal 1:1 aufgenommen werden? Und dazu mit nur einem der vier Original-Musiker, der heute das Alleinvertretungsrecht für sich beansprucht. Andy Powell war mit Ted Turner und später mit Laurie Wisefield eines der wichtigsten Gitarren-Duos der Rockgeschichte, kein Zweifel. Noch vor THIN LIZZY und anderen. Und der Gesang von Andy ist oder war auch immer ziemlich gut. Ich erinnere mich an mein einziges Live-Erlebnis 1982 mit der Band. Damals ging es mit dem hardrockigen ´Twin Barrels Burning´ allerdings schon bergab, und ´Raw To The Bone´ war dann anschließend eine riesige Enttäuschung. Und das letzte Album, das ich mir zugelegt habe.
Andy Powell hält den Namen der Band bis heute aufrecht. Zwischendrin gab es 1987 doch tatsächlich eine Wiedervereinigung der vier Original-Mitglieder, die auch ´Live Dates´ 1973 geprägt haben: Martin Turner, Andy Powell, Ted Turner und Steve Upton. Auch die ging an mir vorbei, obwohl ich diese Band seit über 40 Jahren absolut liebe. ´Argus´, das Meisterwerk, aber eigentlich alles, auch die unterschätzten Ende 70er Jahre, bis Martin Turner, stilprägender Bassist und Sänger ausstieg. Nur das übersehene Meisterwerk ´Number The Brave´ 1981 war noch stark. Aber da war auch niemand anderes als John Wetton Nachfolger von Martin Turner am Bass und teilweise auch Gesang. Ein Meister beider Fächer.
Nun also ´Live Dates´. Eines der legendären Rock-Doppel-Alben der 70er Jahre. Alle elf Songs in der gleichen Reihenfolge gespielt. Kaum Abweichungen. Und was ist das für eine Songlist. Drei unsterbliche Klassiker mit ´The King Will Come´, ´Warrior´ und ´Throw Down The Sword´ zum Einstieg. Dann mit dem Übertitel ´Rock’n’Roll Widow´ und dem zweitstärksten ´Ballad Of The Beacon´ die zwei stärksten Titel des insgesamt enttäuschenden ´Argus´-Nachfolgers ´Wishbone Four´, der nach ´Live Dates´ die erste legendäre Besetzung zu Fall brachte. Aber mit Laurie Wisefield wurde ein starker Ersatz gefunden, trotzdem dauerte es, bis die Band Ende der 70er wieder richtig in die Spur fand, auch wenn sie niemals mehr – zumindest kommerziell – an die Glanzzeit der ersten vier Jahre anknüpfen konnte. Aber das ist jetzt nicht relevant.
Sondern: ´Live Dates Live´. Nun, musikalisch, von den Gitarren und der Produktion klingt alles sehr gut, auch wenn die Magie von 1973 natürlich absolut nicht reproduzierbar ist. Aber der Gesang. Wenn man die alten Alben nicht kennt, sicher okay. Aber Martin Turner war DIE Stimme von WISHBONE ASH und ist nicht ersetzbar. Andy Powell war wichtiger Co-Sänger und die gemeinsamen Harmoniegesänge waren genial. Aber alleine kann der beim Gesang auch müde wirkende Gitarrist das kaum schuldern. Alle sind älter geworden. Klar. Aber wer Martin Turner auf YouTube sieht, wird wissen, was ich meine. Auch sein Bassspiel war sehr originell. Das kann hier ganz gut reproduziert werden.
Und die Songs – neben den oben genannten – vor allem noch das rockige ´Jailbait´ und der wahrscheinlich wichtigste WISHBONE ASH-Titel, das legendäre ´Phoenix´ vom Debüt, sind so gut und mit viel Gefühl eingespielt, dass diese Wiederaufnahme jetzt kein kompletter Schuss in den Ofen ist. Und für WISHBONE ASH-Fans vielleicht gut genug, um die eine oder andere Träne zu vergießen. Aber letztendlich aufgrund des Legendenstatus von ´Live Dates´ und den genannten Schwächen eigentlich für mich entbehrlich.
Wer WISHBONE ASH nicht kennt, und da soll es unter jungen Menschen viele geben, sollte schleunigst das legendäre ´Live Dates´ antesten. Und, um auch die späteren großartigen Lieder kennenzulernen, ´Live Dates Volume Two´ gleich dazu. Anders als Bands wie THIN LIZZY oder UFO haben WISHBONE ASH es nicht geschafft, ihre Musik in die Gegenwart zu retten. Sie gelten als obsolet, völlig zu unrecht und die in den letzten Jahren veröffentlichten Live-Aufnahmen aus verschiedenen Epochen zeigen, wie stark die Band vor allem auch live war.
Aber kann sich jemand vorstellen, dass Scott Gorham mit Ricky Warwick (oje oje) ´Live And Dangerous´ neu aufnimmt oder DEEP PURPLE ´Made In Japan´ 1:1 (oder haben die das gemacht, bei den vielen Veröffentlichungen habe ich den Überblick verloren)? Nein, oder? Wieso sollten sie das?
Deshalb das Fazit (das jetzt mit einem naheliegenden Zitat kommen musste): ´Live Dates Live´ ist für beinharte WISHBONE ASH-Fans vielleicht eine nette Zugabe. Und – Respekt – Andy Powell ist sehr vorsichtig und umsichtig mit den Klassikern umgegangen und hat gute Musiker am Start. Aber der ´Phönix/Phoenix´ WISHBONE ASH wird für mich mit dieser Veröffentlichung die Asche, in die er 1982 fiel, auch nicht verlassen.
(Ohne Wertung)
https://www.facebook.com/wishbone.ash.official
(VÖ: 29.09.2023)