JOHN MELLENCAMP – Orpheus Descending
~ 2023 (Republic) – Stil: Songwriter Rock / Folk Rock ~
Ja, oftmals gibt es im gesetzten Alter noch einmal einen Kreativitätsschub (also nicht aufgeben!). So auch bei John Mellencamp. Nach einer eher schwächeren Periode und gesundheitlichen Problemen hat er letztes Jahr mit ´Strictly A One-Eyed Jack´ ein ganz hervorragendes Album vorgelegt. Vom Songwriting, dem musikalischen und gesanglichen Vortrag war alles sehr stark.
´Orpheus Descending´, Album Nr. 25 in der langen Karriere von John Mellencamp, knüpft glücklicherweise an diese starke Phase an. John gibt noch einmal alles. Schon der überragende Opener ´Hey God´ zieht einen in einen musikalischen Sog, von dem man sich schwer befreien kann. “Hey god, If you’re still there. Would you please come down. We can’t take it anymore”, singt John. Das ist stark, wütend und verzweifelt gleichzeitig. Verpackt in einen knackigen, eingängigen Rock-Song.
Ja, so traurig die innenpolitische Lage und die außenpolitische Lage ist, sie hat in den USA für Adrenalin selbst bei den älteren musikalischen Legenden geführt. Selbst Buddy Guy hat auf seinem letzten Album sein Unverständnis für die Gewaltausbrüche in den USA und auf der Welt ausgedrückt. John war schon immer ein (sozial-)politischer Sänger und singt gegen die Missstände und die Hilflosigkeit und Ohnmacht an.
´The Eyes Of Portland´ im Anschluss kommt eher auf der akustischen Schiene, ist aber nicht weniger beeindruckend. Und textlich nicht viel hoffnungsvoller. Wer hoch und jugendlich singt, bekommt im Alter Schwierigkeiten mit seinem Gesang. Wer von Anfang eine raue Stimme hat, kann im Alter immer noch an Lebensweisheit und Erfahrung zulegen. So ist das bei John. Sein Gesang ist wie sein Leben. Rau und herzlich. Hart und empathisch zugleich. Dazu hat er eine Band im Hintergrund, die ihm in puncto Erfahrung und Können in nichts nachsteht. Besonders die Slide-Gitarren sind beeindruckend. Und der immer wieder gelungene Soloeinsatz von Streichern ergänzt je nach Stimmung.
Nicht alle Songs sind so aufrüttelnd wie die ersten zwei. Aber auch das nachdenkliche und zarte ´The Kindness Of Lovers´ geht tief in die musikalische Seele der Hörerin / des Hörers ein. John entpuppt sich einmal mehr als Warnender im eigenen Land. Beim rockigen ´Amen´ oder bei ´Backbone´, das auch schon vom näher kommenden Tod und von Stolz erzählt. Das Titelstück und ´One More Trick´ sind pulsierende Songs und der erste erinnert an einen anderen Großen, Willy de Ville. ´Understated Reverence´ spielt melancholisch mit Erinnerungen. ´Lightning And Luck´ ist klassisches US-Storytelling und länger als die sonstigen Songs. Gegen Ende gibt es dann ein paar kleinere Längen bei den Songs, was aber alles in allem den starken Eindruck wenig schmälern mag.
Insgesamt: Ein weiteres grandioses Alterswerk im positiven Sinne. Weisheit, Wut und Gefühl. Für mich ist John damit einer der besten aktuellen US-Songwriter.
(8 Punkte)