ANNEXUS QUAM – Osmose
~ 1970/1999 (ZYX Music) – Stil: Krautrock ~
Ich erfreue Euch heute einmal mit einer deutschen Gruppe aus den 70ern, die sich dem Krautrock verschrieben hat, wenn man es so will, eine 1999er CD Wiederveröffentlichung auf ZYX Music.
ANNEXUS QUAM, seit 1967 agierend, stammten aus dem beschaulichen Rheinlandstädtchen Kamp – Lintfort bei Düsseldorf und haben auf ihrem 1970er Debütalbum ´Osmose´ vier ebenso betitelte und mit entsprechenden römischen Ziffern durchnummerierte Stücke zwischen 3:11 und 18:20 Minuten Dauer, wobei die ersten beiden Songs kurz sind und die hinteren Stücke über zehn Minuten dauern. Das könnte eine sehr fordernde Musik sein. ANNEXUS QUAM, sehr junge Musiker übrigens, spielen sehr frei, wobei sie immer eine Grundstruktur behalten und auf gewisse Weise diszipliniert zu Werke gehen. Gesang bzw. menschliche Stimme höre ich nur hier und dort einmal als textloses Summen und Singen, was sie zu einem weiteren Instrument werden lässt. Leitend sind meistens Bläser mit Flöte, Posaune, Klarinette und Saxophon.
Ihr merkt, der große Haupteinfluss ist hier der Jazz, welcher aber zunächst rockig und elektrisiert gespielt wird und eher einer Jamsession entsprungen klingt. Genauso ergeht es dem Rockanteil. Je länger die Songs, desto freimütiger spielen ANNEXUS QUAM drauflos, entfesseln eine eigenwillige psychedelische Klangenergie mit hypnotischer Wirkung. Das wiederum ist ein typischer Aspekt des Krautrock als eigenständiger Stil. Entweder Jazz oder kosmische Elektronik, hier also Free Jazz mit kosmischer Atmosphäre.
Spielen können die jungen Herren, der jüngste Musiker war hier gerade 18, der älteste 24, ausgesprochen gut. Bei ´Osmose IV´ gehen sie von dem krautig-jazzrockigen Gejamme bis zum absoluten kosmischen Nullpunkt mit einzelnen Saitenanzupfern, Beckenschlägen und dezent geblasenen Noten, etwas Geklöppel und Geraschel, aus dem kurz ein lauterer Ton hervorbricht, bevor das Album endet. Das ist sehr abrupt und unvorhergesehen. Der Hörer ist ratlos. Nochmal von vorn.
Es beginnt mit gezogenen Tönen der Blasinstrumente, dann folgt kurz Stille, dann eine sich langsam aufbauende Passage mit dunkler Melodie, zerrigen Gitarren, morbidem Wehklagen der Posaune, spacigem Flippen und Hallen und düster-makabrer Orgel. Eine eigensinnige Melancholie und Trostlosigkeit wird hier durch Musik zum Ausdruck gebracht. Zuweilen wird das Stück intensiver und wütender, fällt aber letztendlich in sich zusammen.
´Osmose II´ ist eher soulig, groovy, mit wortfreien Stimmeinlagen, die eher rituellen Charakter haben und mit jeder Sekunde wird der Song bzw Jam freier und hypnotischer. Aber der Groove steht. Verrückte Jamnummer. Ebenso plötzlich wie sie kam, verschwindet die Nummer wieder in den Äther. ´Osmose III´ beginnt langsam und mit melancholischen Melodien der Posaune und Klarinette, auch der klar gespielten E-Gitarre. Die Orgel legt schöne, die Melancholie weiter entfachende Teppiche drunter, aber im Hintergrund hört man bedrohliche Klänge aus unbekannten Tiefen hervorquellen, Flöte und Saxophon, spaciges Gitarrenklackern, dann wieder wortloser Singsang, mit dem der irre Dämonensultan Azathoth, das nukleare Chaos, beschworen wird. Das Stück verlangsamt sich, verliert allen geschlagenen Rhythmus, wird aber zu einem Dialog aus Saxophon und Gitarre mit sehr eindringlicher Melodieführung. Dunkel, mystisch und zutiefst berührend umtanzen sich die Notenfolgen der einzelnen Instrumente in einer lustvollen und freimütigen Art. Hier erlebt man den psychedelischsten Moment des Albums. Langsam kommt das Schlagzeug wieder hervor aus seinem Versteck. Zusammen mit der Bassgitarre schafft es den hypnotischen Groove, auf dem die übereinander geschichteten und frei, aber miteinander verwoben spielenden Instrumente eine kosmische Melodie spielen, aber nach einigen Momenten wieder zusammenbrechen, so gewaltig mag das Grauen aus den äußersten Sphären auf sie wirken.
Ein wiederum sehnsuchtsvolles Intro gibt es bei ´Osmose IV´, erst nur vom Piano, dann gesellt sich ein Basslauf dazu, leichte Perkussion. Das Schlagzeug setzt ein, lässig schlendert der Song voran, im Zwiegespräch mit den Blasinstrumenten und der Gitarre vertieft. Aber auch hier deuten sich die kosmischen Spacerock Schrecken durch Klackern und Zischen an. Die Nummer baut sich auf. Wird immer intensiver und verspielter. Man scheint sich ab einem gewissen Punkt im Irrsinn zu verlieren, wäre da nicht der stete Rhythmus. Geisterhaftes Stimmengewirr, durcheinander purzelnde Noten und Töne von Bläsern, Klavier und Gitarre, dann eine Reduzierung auf Beckenschläge und spacige Perkussion mit einzelnen Orgel- und Gitarrentönen. Das strapaziert einerseits die Seele des Hörers, befreit sie aber auch. Die Instrumente scheinen ab einem Punkt eher beiläufig miteinander im gleichen Stück zu spielen, ohne wirklich einen Bezug zwischen ihren Klängen herstellen zu können. Aber dennoch ist da auch eine gewisse Harmonie in der Willkür zu erkennen und eine den Zuhörenden packende Struktur. Aber man muss sich schon auf diese Minimalistik und Reduzierung einlassen. Dann verzaubert einen ´Osmose IV´ komplett und reizt die Emotionen.
Eine tatsächlich eher sperrige Platte ohne Popappeal wird denen geboten, die auf die Reise zu den anderen spirituellen Ufern gehen wollen. Wenn John Coltrane 1969 noch gelebt und mit seinem Ex-Chef Miles Davis zusammen elektrischen Jazz gezaubert hätte, während vollkommen weggedübelte Deutsche Hippies dazugestoßen wären, dann wäre man bei ´Osmose´ gelandet. Für solch junge Burschen herausragend.