HERBIE HANCOCK – Head Hunters
~ 1973/2009 (Music On Vinyl/Legacy/Columbia) – Stil: Jazz/Funk ~
Nachdem Herbie Hancock sein Sextett der “Mwandishi”-Ära, nach dem Swahili-Namen für “Writer”, aufgelöst hatte, das sich für die Werke ´Mwandishi´ (1971), ´Crossings´ (1972) und ´Sextant´ (1973) verantwortlich zeichnete, gründete er die HEADHUNTERS.
Allein Bennie Maupin (Tenor Saxofon, Sopran Saxofon, Bass Klarinette, Altflöte) blieb von der vorhergehenden Besetzung übrig. Daneben verpflichtete Herbie Hancock (Fender Rhodes Electric Piano, Hohner D6 Clavinet, ARP Odyssey & ARP Pro Soloist Synthesizers) die beiden Schlagzeuger Harvey Mason und Bill Summers (auch Agogô, Balafon, Bierflaschen, Cabasa, Congas, Gankogui, Hindewhu, Holztrommel, Shekere, Surdo, Tamburin) sowie Paul Jackson (Bass, Marímbula).
Herbie Hancock wollte sich etwas von der bisherigen Schwere und der Abgehobenheit der Musik lösen und etwas Leichteres kreieren. Gegen den Zeitgeist und dem Fusion-Zeitalter beschloss er, keine E-Gitarre und stattdessen das Tasteninstrument Clavinet zu nutzen. Er strebte allerdings ganz im Sinne des Zeitgeists ein eigenes Funk-Album an, so wie er diesen bei James Brown und SLY & THE FAMILY STONE vernommen hatte.
Denn der entscheidende Ausschlag für den Erfolg des ersten Werkes in dieser Konstellation war die Hinwendung zum Funk. Zwar stiegen die Verkaufszahlen erst sehr langsam an, tatsächlich sahen konservative Kritiker das Werk äußerst kritisch und wollten den heiligen Jazz keinesfalls in der Nähe des Pop sehen, doch es verkaufte sich im Laufe der Monate und Jahre sehr stark im afroamerikanischen Popbereich, so dass es bis 1976 das meistverkaufte Jazzalbum aller Zeiten war.
´Head Hunters´ war nicht mehr der Jazz, dem eine gewisse Nähe zu Miles Davis nachgesagt werden konnte. Dieser wurde weniger multidimensional und bewies eine kommerzielle Frische. Jazzpianist Herbie Hancock hatte längst die elektronische Welt für sich entdeckt und experimentierte mit Synthesizern, elektrischem Piano und Clavinet. Als Grenzgänger zwischen den Welten saugte die Jazz-Musik von ´Head Hunters´ nicht nur den Funk und die Elektronik auf, sondern erwies sich für alle Seiten als bahnbrechender Impulsgeber und Vorreiter.
Das fünfzehnminütige ´Chamäleon´ eröffnet mit der unvergesslichen und hundertfach reproduzierten ARP-Synthesizer-Basslinie, doch das Saxofon von Bennie Maupin setzt noch eine vortreffliche Melodie obendrauf. Das Schlagzeugspiel von R&B-Session-Drummer Harvey Mason ist währenddessen hyperaktiv und lässt auch kleine Keyboard-Spielereien von Herbie Hancock zur Entfaltung kommen. Gleichwohl setzt die nachfolgende Keyboard-Solovorstellung mit vielerlei Effekten dem ganzen die Krone auf. Der funky Bay Area-Bassist Paul Jackson hat nachfolgend einige prägnante Basslinien parat, so dass eine Leichtigkeit in die gesamte Vorstellung einzieht. Natürlich kommt die Synthesizer-Basslinie nochmals ins Spiel, um dem Saxofon bis zum Ausfaden weitere Auftritte zu ermöglichen.
Für die HEADHUNTERS wird auch Hancocks-Hit ´Watermelon Man´ von seinem ersten Album ´Takin’ Off´ als Tribal-Jam-Session wiederbelebt und von Schlagzeuger Harvey Mason mit afrikanischen Percussions neu erfunden. Denn Bill Summers bläst anfangs in die Bierflasche und imitiert dadurch ein Instrument der Mbuti-Pygmäen aus Nordost-Zaire. Die Clavinet von Herbie Hancock bildet die Gitarre ab, während große Basslinien und immer wieder Saxofonparts den nicht wiederzuerkennenden Song solange vorantreiben bis der mächtige Groove durch das Flaschenblasen erneut und abschließend einsetzt.
Die B-Seite widmet den ersten, zehnminütigen Song ´Sly´ dem Funkmusiker Sly Stone von SLY & THE FAMILY STONE. Bass und Schlagzeug bereiten das Spektakel vor, auf das das Saxofon einsteigt. Anfangs nur in aller Souveränität, kommt nach wenigen Keyboardpassagen Hektik ins Spiel, Bassline und Schlagzeug drehen auf und samt Saxofon verfallen alle in Solovorführungen. Zu ruhelos zum Tanzen, zu flott zum Relaxen, Harvey Masons Schlagzeug und Bill Summers’ Congas sind geradezu das Holz für das Feuer im Song, beweist ´Sly´ die weiterhin vorhandene Komplexität in der Aufführung von den fünf HEADHUNTERS. Zum Abschluss wird das neunminütige ´Vein Melter´ sogar sanfter in seiner Ausgestaltung. Gemächlich grooven Bass und Schlagzeug, derweil Bennie Maupins Saxofon seine Läufe findet und Herbie Hancock das E-Piano nutzt. Harvey Mason und Bill Summers bilden indes den subtilen Grundstock zum friedlichen Ausklang.
Der Headhunter auf dem Coverartwork, entworfen von Victor Moscoso, soll Herbie Hancock an den Tasten darstellen, der von Mason, Jackson, Maupin und Summers umgegeben ist. Das Bildnis basiert auf der “Kple Kple”-Maske des Baoulé-Stammes von der Elfenbeinküste und den Tapehead-Entmagnetisierern bei der Verwendung von reel-to-reel.
´Head Hunters´ krempelte als echter Grenzgänger die Jazzwelt um und stellte sich breitbeinig mit Ausrufezeichen zwischen Jazz und Rock, Funk und Soul. In einer knappen Woche aufgenommen, wurde es am 13. Oktober 1973 veröffentlicht und klingt selbst fünf Jahrzehnte später überraschend frisch und äußerst raffiniert.
(Klassiker)