ILL WIND – Flashes
~ 1968/2022 (ABC Records/Out-Sider Music) – Stil: Psychedelic Rock ~
Die Sechzigerjahre rütteln hoffnungsvoll die festgefahrenen Normen der Fünfzigerjahre auf. Am Massachusetts Institute of Technology begegnen sich Ken Frankel und Carey Mann. Ersterer ist mit 23 Jahren nicht nur Doktorand der Biophysik, sondern ein Multiinstrumentalist, der schon mit Jerry Garcia oder Robert Hunter gespielt hat. Letzterer ist ebenso jung und spielt Klavier, Gitarre und Bass. Gemeinsam bringen sie die Musikwelt ins Wanken.
Wenige Monate später laden sie Sängerin Judy Bradbury von dem Duo NORM AND JUDY und weitere Hochschul-Kameraden zu ihren Bandproben ein. Live-Auftritte sind allerdings zu jener Zeit der Top 40-Bands schwer zu verwirklichen. Erst recht, wenn Männer mit Bärten und langen Haaren bei den Clubbesitzern vorstellig werden.
Als Richard Griggs auf eine ihrer Anzeigen antwortet, haben sie einen neuen Rhythmusgitarristen und Leadsänger. Carey Mann wechselt infolgedessen an den Bass und Ken Frankel an die Leadgitarre. Als neuer Schlagzeuger meldet sich David Kinsman. Ihren bisherigen Bandnamen THE PROPHETS, da ohnehin inflationär gebräuchlich, legen sie zur gleichen Zeit ab und nennen sich nach einem Song von Ken ILL WIND.
Erst im Sommer 1966 interessieren sich mehr und mehr Teenager für ihren Sound. Innerhalb weniger Monate sind sie plötzlich eine gefragte Band, die mit drei Leadsängern komplexe Harmoniegesänge und psychedelische Jams anstimmt. Während ihrer ersten Demo-Aufnahmen verlässt jedoch völlig unerwartet Judy Bradbury aufgrund des steigenden Drucks die Gruppe. Nach einer kurzen und intensiven Suche finden sie Connie Devanney von der Folkband CUMBERLAND SINGERS. Mit ihr können sie die Demo-Aufnahmen unter der Aufsicht von Terry Hanley abschließen. Auf diesen spielt Ken Frankel an der Leadgitarre, Richard Griggs an der Rhythmusgitarre, Carey Mann am Bass sowie David Kinsman am Schlagzeug.
Um einen Plattenvertrag zu ergattern, nehmen sie mit dem Produzenten Dick Weissman, von THE JOURNEYMEN mit John Phillips und Scott McKenzie bekannt, zwei Songs im “Capitol Records” Studio in New York auf. Sie reisen für einige Gigs sogar nach Kalifornien und werden kurioserweise von einem New Yorker Club als beste kalifornische Band gescoutet. Daher fliegen sie umgehend zu Gigs an die Ostküste zurück und spielen zudem für “Capitol Records” weitere Demo-Aufnahmen ein.
Letztlich erhalten sie aufgrund ihres psychedelischen sowie rockigen und weniger poppigen Sounds doch keinen Plattenvertrag. ILL WIND hören jedoch von der neuen Produktionsfirma von Tom Wilson, der THE VELVET UNDERGROUND und THE MOTHERS OF INVENTION produziert hat und Bob Dylan sowie Simon & Garfunkel den elektrischen Sound gab. Die hoffnungsvollen Aussichten zerplatzen allerdings im Fluge, da sich Tom Wilson im Studio keine ausreichende Zeit für die Band nimmt und “ABC Records” das Album hastig mit langweiligen Studiofotos veröffentlichen will. Zudem gibt es erste Pressfehler des Vinyls und der zu dunklen Fotos auf dem Cover.
Nach der Veröffentlichung werden ILL WIND auch im Radio, insbesondere in Neuengland gespielt. Sie treten in der Folge mit THE WHO, THE BYRDS, FLEETWOOD MAC, MOBY GRAPE und vielen anderen auf.
Mitte 1968 teilt jedoch Carey Mann der Band mit, dass er die Band verlassen wird. Ende 1969 zieht Ken Frankel auf den Rat seines Freundes Jerry Garcia nach Marin County in Nordkalifornien und besiegelt endgültig das Ende von ILL WIND. Eine 1970 initiierte Wiedervereinigung verläuft im Sande. ILL WIND sind Geschichte.
2022 veröffentlichen “Out-Sider Music” das einzige Album der in Boston ansässigen Band ILL WIND, mit Einleger und einer ausführlichen Biografie, Fotos, „Hard Cardboard Sleeve“ plus OBI.
Völlig mitreißend ist bereits der Opener der A-Seite ´Walkin’ And Singin’´ im fröhlichen Psychedelic Rock mit Folk-/Country-Einschlag. Noch hinreißender ist der von Connie Devanney gesungene Psych Rock ´People Of The Night´ mit Männerchören aus dem Hintergrund und sich anschließenden Solo-Exkursionen über beinahe acht Minuten.
Nach ausgiebigem Gitarrengezwitscher begeistern ILL WIND in ´Little Man´ mit harmonischem Gesang im Sinne von THE MAMAS AND THE PAPAS und einer psychedelischen Folk Rock-Melodie. Melancholisch singt Connie Devanney die mächtige und geradezu dunkle psychedelische Folk-Ballade ´Dark World´. Dagegen beginnen die Herren ´L.A.P.D.´ im Sinne von Jimi Hendrix und lenken die schwere Komposition in Richtung Acid Rock und feurigem Jam.
Selbst die erstmals 1963 von Judy Henske gesungene Nummer ´High Flying Bird´ zelebrieren ILL WIND im Acid-Blues-Rock. Neben der Version von ILL WIND sind zweifellos die von JEFFERSON AIRPLANE und H.P. LOVECRAFT weitaus populärer. Dem Psychedelic Rock der BEATLES nicht unähnlich ist hingegen ´Hung Up Chick´, solange Connie Devanney von ihren männlichen Gesangspartnern abgelöst wird.
Die Männer-Chöre als Gegenpart zu Connie Devanneys Gesang und das Banjo bringen anschließend in ´Sleep´ wieder Licht in die Finsternis. Denn den Untergangshymnus ´Full Cycle´ vollziehen ILL WIND zum Finale der B-Seite nochmals über sechs Minuten mit ausgiebiger Saitenzelebrierung, Folk-Rasseln und stattlich ausschmückenden Gesangsdarbietungen.
´Flashes´ von ILL WIND ist schlicht und ergreifend eine echte Perle aus dem Jahr 1968.
(8,5 Punkte)