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DIE NERVEN – Die Nerven

~ 2022 (Glitterhouse Records) – Stil: Heavy/Noise/Rock ~


Schwarzer Schäferhund vor schwarzem Grund. DIE NERVEN schauen nicht besonders optimistisch in die Zukunft ihres Landes und der Menschheit. Ihr offiziell fünftes Studioalbum scheint seit seiner Entstehung bis in die Gegenwart betrachtet mit geradezu prophetischen Fähigkeiten ausgestattet zu sein. Ihr selbstbetiteltes Werk, ihr womöglich amtlichstes Werk ihrer Bandkarriere, findet klare Worte und übt sich in Gesellschafts- und Sozialkritik, ohne einen Ausweg aus dem Dilemma zu kennen oder zu benennen.

Für DIE NERVEN, die 2010 in der Stuttgarter Noise-Szene aufschlugen und die Post-Punk-Szene längst hinter sich gelassen haben, ist ihr neuestes Werk ´Die Nerven´ womöglich ihr wichtigstes Studioalbum. Für den Hörer sind es Beobachtungen aus Deutschland, Europa und der Welt. Für Kevin Kuhn (Schlagzeug), Julian Knoth (Bass und Gesang) und Max Rieger (Gitarre und Gesang) ist es das Resultat eines anderthalbjährigen Kreativprozesses.

Die Band, die niemals probt, entwickelte über diesen Zeitraum hinweg zwanzig Songs. Als Ausbeute für die Produktion standen zehn frische und unvorhersehbare Kompositionen zur Verfügung, um in den Berliner “Candy Bomber Studios” aufgenommen zu werden. Zehn Lieder, die dem Post Punk oder Noise Rock, aber auch dem Pop zugesprochen werden können. Denn DIE NERVEN spielen inzwischen schlichtweg harten und monströsen Heavy Noise Rock, denn das eine schließt das andere längst nicht mehr aus.

 

 

Erst singen DIE NERVEN mit Akustikgitarre über diese allzu gut behütete Generation in Europa, ehe das musikalische Monster über den Hörer hereinbricht wie dieses demokratisch nie legitimierte europäische Regierungskonstrukt über die Menschheit: “Und ich dachte irgendwie in Europa stirbt man nie.” Falsch gedacht, denn hier sterben mittlerweile täglich alt wie jung plötzlich und unerwartet. Doch DIE NERVEN denken natürlich an ihre Generation der Sorglosen, derweil die Dunkelheit längst über das Land hinweggezogen ist.

“Muss manchmal frieren in diesem Land”, singen DIE NERVEN folgerichtig in ´Ich sterbe jeden Tag in Deutschland´ und sparen im Winter 2022/23 frei nach George Orwell schon Energie für den Krieg. Am Ende des Songs ist sogar schon die Feuerwehr unterwegs und das Feuerwerk kracht in den Himmel, exakt wie an Silvester 2022 im neuen Deutschland, das so radikal bunt geworden ist.

Die jüngeren Generationen registrieren all die Veränderungen vielleicht gar nicht, sie sind tatsächlich in “Null Bock”-Stimmung und können nicht mehr den kleinsten Finger rühren, bei ihnen ist ´Keine Bewegung´ mehr wahrzunehmen. Sie sind satt und selbstgefällig, ihnen ist alles ´Ganz egal´. Sie hoffen, ´Alles reguliert sich selbst´, und zittern vor dem Raubtierkapitalismus.

Derweil suchen sie ihr Heil in den Sozialen Medien, allerdings steigt dadurch allerorts die Reizüberflutung explosionsartig an. ´15 Sekunden´ sind nicht ´Ein Tag´, doch ´Ein Influencer weint sich in den Schlaf´. Das Ende scheint nah. Stromausfall. Apokalypse. Offenbarung des Johannes. DIE NERVEN drehen sich noch einmal um, drehen sich kurz um ´180°´ …  “Der Tod ist ein Meister der Zahlen” … blicken auf die vorangegangenen Minuten … “Baby, setz den Wagen an die Wand” … und das Leben überhaupt zurück … “Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen”.

(9 Punkte)

 

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