PlattenkritikenPressfrisch

THE LΩVECRAFT SEXTET – Miserere

~ 2022 (Debemur Morti Productions) – Stil: Blackjazz ~


Zeitlupendoom langsame Jazzpercussion, sparsam gezupfte Bassgeige, sakrale Orgelklänge, ein düster-verlorenes Saxophon (abartig gut: Colin Webster) plus die üblichen elektronisierten Rockinstrumente, die Kombination all dessen nennt man gemeinhin Darkjazz; ein Subgenre, das weiterhin in tiefster Dunkelheit wächst und gedeiht, vampirhaft auch vom schwarzen Blut des Metal lebend.

Kommen jedoch derart nervenaufreibende Dissonanzen, Saitenkratzen, abgründig wabernde Ambientwinde und -nebel und vor allem solch ekelerregend abstoßende, geisterhaft unterirdische, zutiefst bösartige Vocals hinzu, um die sich jede trve Blackmetalband reißen würde, sind wir bei der aktuellen Emanation von THE LΩVECRAFT SEXTET angekommen. Was in der Platteninfo lakonisch unter „Dimitris Gkaltsidis – Screams” aufgeführt wird, ist die vokale Ausgeburt höllischer Verfluchungen aus den Folterkammern des Grauens genauso wie der Eiseskälte des Weltraums – ein kaum als menschlich zu bezeichnendes Fauchen und Krächzen, das auch das Saxophon zu kakophonischen Verrenkungen im gemeinsamen Dialog anregt.

Man ist froh, dass wenigstens Bass und Schlagzeug dagegenhalten, indem sie stoisch die Basis stabil halten, ohne sich jemals aus der Ruhe bringen zu lassen. Und dann, nach einem spukhaft dissonanten Intro erklingt völlig gegensätzlich zu Gkaltsidis’ Geisterbahnstimme der gregorianische Kirchensopran von Lilian Tong bei drei der sechs Tracks, ´Miserere [Opus III] – Sanctum´, das auch mit dezentem Tremolopicking aufwartet, dem orgelbegleitet-schleppenden ´… [Opus IV] – Sacrificium´ sowie dem abschließenden, nicht weniger sakralen ´… [Opus VI] – Libera´. Doch auch sie kämpft mit mysteriösen atmosphärischen Störungen wie bei einem immer wieder knapp den Sender verlierenden Radio, etwas liegt dauerhaft bedrohlich und verwirrend in der Luft auf ´Miserere´, vieles wird nur angedeutet und offengelassen, manch Klimax läuft ins Leere, doch auch das stört keineswegs, solange nur das Tempo so langsam wie nur möglich bleibt.

Was der so umtriebige wie geniale Grenzgänger Jason Köhnen (CELESTIAL SEASON, BONG-RA, MANSUR, ex-THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE, THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID) hier wieder einmal zusammengebastelt hat, lässt sich kaum in Worte fassen, will es doch gehört und von den eigenen Ohren geprüft werden. Die dritte LP des noch jungen LΩVECRAFT SEXTETs in nur 13 Monaten kehrt nach dem frühjährlichen Ausflug in den Synthwave wieder zum Anfang seines Solo-Darkjazz-Neoklassik-Projekts zurück, das diesmal mehr nach DALE COOPER QUARTET & THE DICTAPHONES als BOHREN & DER CLUB OF GORE klingt.

“The first ever recorded Doomjazz Blackmass” soll Miserere sein, und man glaubt es sofort. Nichts ist hier wie es scheint, die Kirchenorgel zu Beginn führt uns auf die falsche Mellotron-Fährte, den himmlischen Klängen von Tong fieseste Saxquietscher entgegengesetzt, ständig wird Schönheit mit abgrundtiefer Hässlichkeit kontrastiert, cineastisches Scheinwerferlicht mit tiefstem Schatten, und trotzdem ist dies ganz wunderbare Musik für einen Abend vorm Kamin – beruhigend, festlich, einlullend, aber niemals langweilig oder gar vorhersehbar. Hier findet der Horrorfan genauso viel zu entdecken wie der atmosphärische Blackmetaller oder der aufgeschlossene Doomster. Nie zuvor wurden die dunkelsten Winkel der Seele, wurden „Reue, Buße, Kummer, Trauer und Demütigung“ genuss- und geschmackvoller vertont, Köhnen hat mit diesem Projekt ganz offensichtlich seine Berufung gefunden, und es ist zu hoffen, dass diese kreative Quelle weiter so lebendig sprudelt, und ein längeres Album als die doch sehr schmalen knapp 40 Minuten hervorbringt. Die verzauberten Hörer werden es danken!

(8 Punkte)

 

https://thelovecraftsextet.bandcamp.com

 

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"