DRY CLEANING – Stumpwork
~ 2022 (4AD/Beggars Banquet) – Stil: Post Punk/Gothic Pop/New Wave ~
Während das Debütalbum ´New Long Leg´ der Londoner DRY CLEANING das Quartett noch als widerwillige Insider vorstellte, die eine Balance zwischen Zynismus und koffeinhaltigem Trieb suchten, präsentiert das Nachfolgewerk sie nun eher als nüchterne Beobachter. ´Stumpwork´ versucht die absurde Horrorshow zu definieren, zu der die britische Kultur und zwischenmenschliche Beziehungen in den letzten Jahren geworden sind, und es geht den besorgniserregenden gesellschaftspolitischen Zustand Großbritanniens auf die einzige Weise an, die die Briten eben nun mal kennen – nämlich durch unerbittliches Spotten und das Verstecken der tatsächlichen Angst unter Schichten von Witzen und Dunkelheit.
Wie wir auf ´New Long Leg´ bereits erfahren haben, bestehen die Texte der charismatischen Frontfrau Florence Shaw größtenteils aus belauschten Dialogschnipseln, als Reaktion auf nervige Werbung oder es sind einfach nur flüchtige Gedanken, die ihr ins Bewusstsein sprudeln. Diese scheinen sich an allen möglichen Orten ereignet zu haben, nach eigener Aussage bei Spaziergängen und auf Tourneen in der ganzen Welt, und Shaw dokumentiert bereits im Opener des Albums ihre Eindrücke treffenderweise mit den Worten „Ich sehe überall Scheiße.“
Bei der Verarbeitung ihrer Eindrücke fertigt sie eine ruhig dringende und düster nachdenkliche Reihe von Proklamationen, Witzen und Geständnissen an, und klanglich navigieren sich Tom Dowse, Lewis Maynard und Nick Buxton auch weiterhin durch innovative Riffs, Rhythmen und Texturen, wobei vor allem die außergewöhnlichen Basslines in Verbindung und im beharrlichen Wechsel mit der mal zarten, mal bewusst kraftvollen Gitarrenarbeit nach wie vor zu überzeugen wissen.
´Kwenchy Kups´ beispielsweise zeigt Shaws Antwort auf den Klimawandel und die damit verbundene Milliarden-Dollar-Industrie, und es besticht vor allem durch Dowses strahlende Gitarrenbewegungen, die von Buxtons und Maynards überschwänglichen Drum-and-Bass-Interaktionen untermalt werden. Auch bei ´Gary Ashby´ zeigt der Gitarrist einige seiner kompliziertesten Arbeiten, mit zahlreichen melodischen und rhythmischen Verschiebungen, die sich gekonnt um Shaws Sprechgesang legen.
Auf ´Don’t Press Me´ packt die Sängerin ihren zweifellos konventionellsten Gesangspart an, während Dowse eine aufregende Gitarrenprogression bietet, die durch jazzige Percussion akzentuiert wird. Bei ´Liberty Log´ hingegen vereinen sich Shaws narkotisierter Gesang und die disharmonischen Streifzüge der Band, einschließlich dem Einsatz von Feedback, Drones und Mitteltonstörungen, um den wohl apokalyptischsten und klanglich überzeugendsten Song zu erschaffen, den die Band jemals geschrieben hat.
Mit ihrem neuen Album synthetisieren DRY CLEANING jedenfalls höchst effektiv verschiedene Vorlagen und zeigen damit ihre Neukonfiguration von Gothic Pop, New Wave und zeitgenössischem Post Punk, und während sich ´New Long Leg´ noch in einer schicken Trendigkeit sonnte, beschwört ´Stumpwork´ nun wesentlich nüchterner das Spektrum des Lebens des 21. Jahrhunderts herauf: unsere endlose Suche nach Identität sowie unsere egoistischen Höhen und Abstürze.
(8,5 Punkte)