BROTHERS GRIMM – Helm’s Deep
~1990-1992/2022 (Divebomb Records) – Stil: Prog Metal ~
Nicht nur in Deutschland sind die Brüder Grimm bekannt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Jacob, Wilhelm und (der heute fast vergessene) Ferdinand Philipp in allen deutschen Landen unterwegs, um dort die Märchen und Sagen zu sammeln und aufzuschreiben. Daneben gelten sie als Pioniere der Germanistik, die als ersten daran arbeiteten, ein deutsches Wörterbuch zu verfassen, die auch als erste sich mit der Geschichte der deutschen Sprache befassten. Allerdings sind “Rotkäppchen” und “Der Fischer und seine Frau” heute bekannter als “Die Deutsche Grammatik”. Ein weiterer Bruder Ludwig Emil arbeitete als Maler und Zeichner und war bekannt dafür, seine Modelle besonders lebensnah und gut charakterisiert darzustellen.
BROTHERS GRIMM hingegen waren eine Band, die sich in den späten 80ern in Cincinnati gründete. Eine erste Besetzung bestand aus Jake Bolduc (Bass), Christian Green (Schlagzeug), den Gitarristen Rob Gannon und Dennis Hamlin sowie Bruce Arnold am Gesang. Im Laufe ihrer Proben entwickelte sich ihr, auch heute noch, recht irrer Prog Metal. 1990 erschien, nur auf Kassette, ihr Debüt ´Helm’s Deep´ mit dem sie eigentlich auf Augenhöhe mit heutigen Klassikern dieser Ära aufspielten, sogar ihrer Zeit weit voraus waren. Leider wurde versäumt, ein Label hinzuzuziehen, so dass auch die 1992er EP ´Only Change Is Constant´, ebenfalls Tape only, kaum Beachtung fand. Kurz darauf sorgten finanzielle Schwierigkeiten und weitere kaum näher definierte Gründe für getrennte Wege. Es brauchte dreißig Jahre, aber nun sorgt “Divebomb Records” dafür, das komplette Werk der Truppe aus Ohio, inklusive dreier instrumentaler Bonustracks auf Silberling zu pressen.
Keine dreißig Jahre, aber doch ein wenig Zeit, braucht der Hörer, sich ein Bild zu machen vom Werk der BROTHERS GRIMM. Und diese Zeit baucht er. Der musikalische Output der Brüder ist schon nahe am Wahnsinn. Da muss man erst einmal durchsteigen. Irgendwo in den weiten Welten zwischen TOXIK, frühen FATES WARNING, man achte auf den Gesang, oder WATCHTOWER ist das Zeug unterwegs. In ´Night Of The Jackal´ finden sich gar Anklänge an PRIMUS, an anderer Stelle, etwa im instrumentalen ´Father´ ist eine klassische Gitarre zu hören, wie sie oft auch bei MEKONG DELTA eingesetzt ist. Breaks der Marke halsbrecherisch treffen auf Melodien, die sich in ungeahnte Höhen schrauben. Eingängigkeit sieht anders aus. Aber ehrlich, sie waren jung. Hörbarkeit und Struktur, wer braucht das schon? Das war, und ist immer noch, rebellisch. Und wenn mir keiner zuhört, was solls? Ich mach mein Ding. Und selbst die Tracks der späteren EP sind, trotz etwas mehr Struktur, immer noch am Rande des Nervenzusammenbruchs. Im Vergleich zu den BROTHERS GRIMM waren DREAM THEATER vergleichsweise kaum mehr als harmlose Sängerknaben. Anders gesagt, man kann kaum beschreiben, was hier passiert. Immer schaut etwas um die Ecke, was überrascht, erschreckt oder erfreut. Und der Ecken gibt es genug.
So verbinden sich Bandname und Namenspaten. Die Truppe versteht es, völlig verrückte musikalische Geschichten zu erzählen. Und sie verleihen ihren Stücken ihren ganz eigenen Charakter. Damit waren sie den Märchenerzählern aus Hanau (und deren malendem Bruder) näher, als man vielleicht vermuten mag.
Was neben der Musik wirklich beeindruckt ist das fette Booklet, das mit Lyrics, Geschichte und Fotos kaum Wünsche offen läßt. Das ist eine Edition, die aus heutiger Sicht völlig überfällig ist. Genial. Zeitlos.
(10 Punkte)