METALLICA – St. Anger
~ 2003 (Elektra) – Stil: Alternative Metal/Nu Metal/Punk ~
Mein Interesse für Metal und Hardrock hatte ja bereits Ende der 80er immer mehr nachgelassen und es zunehmend zur reinen Nebensache verdrängt. Hauptsächlich Post Punk, Noise Rock, Grunge und Garagen Rock hatten damals übernommen, und etliche etablierte Acts aus dem Metal-Genre waren eben einfach nicht mehr sonderlich gut in Form, oder zeigten immer heftigere Anbiederungen zum Mainstream. Bis sich dann meine große, alte Liebe aus den 80ern wieder meldete, und verkündete, sie wollten wieder wesentlich intensiver spielen.
Jedenfalls ist das Chaos, das 2003 zur Veröffentlichung von METALLICAs sechstem Studioalbum führte, alleine schon durch den berechtigterweise umstrittenen Film ´Some Kind Of A Monster´ bestens dokumentiert. Nach einer Zeit intensiver Seelensuche, emotionaler Umwälzungen und kreativen Stillstands, sowie einem langwierigen Rekrutierungsprozess für den Ersatz von Jason Newsted, packte die Band also endlich wieder an!
Als ´St. Anger´ dann schließlich in den Regalen stand, kam es einem vor, als hätten die Götter des Metal ein gigantisches Hackebeil genommen und METALLICAs Anhängerschaft direkt in zwei Teile gehackt. Die eine Hälfte wünschte sich, die Band wäre über den Rat (siehe die berühmte Filmsequenz in ´Some Kind Of A Monster´) von Papa Torben Ulrich hinausgegangen, und hätte nicht nur das vorgesehene Album-Intro, sondern das gesamte Album gelöscht. Die andere Fraktion lobte es als Rückkehr zu ihren einstigen Kräften. Ich zähle mich jedenfalls eindeutig zur zweiten!
Sowohl musikalisch als auch spirituell ist ´St. Anger´ eine ehrliche, abgespeckte Übung, und durch jeden wütenden Beat und jedes pumpende, nervöse Riff spürt man, dass es der Sound einer Band ist, die damit ihre womöglich letzte Chance ergreift.
Schon der Eröffnungssong ´Frantic´ schlägt eine hochexplosive Runde, und ist eine Kick-Ass-Offenbarung, wie in alten Zeiten. Der Titeltrack läuft sogar über die Sieben-Minuten-Marke hinaus, mit fast ebenso vielen Taktwechseln und Riffs obendrein. Zurück sind die seit Jahren ersehnten monströsen, progressiven Workouts und die komplexen Rhythmuswechsel, und ´St. Anger´ ist eine knirschende Tour de Force aus zuschnappenden Riffs und einem Gewirr von Drumsounds, was bei all dem oberflächlichen Chaos aber vor allem die eine, einfache Botschaft ist: METALLICA are back – don’t fuck with them!
Das folgende ´Some Kind Of Monster´ baut hingegen auf einem lockereren, fast bluesigen Lick auf, aber kaum ist man in der Komfortzone, trifft der Schmerz gewaltig, wenn Ulrich und Hammett die geschaffene Atmosphäre mit voller Wut in Stücke reißen. ´Dirty Window´, ´Invisible Kid´ und ´My World´ liegen schließlich im Zentrum der verwundeten Seele des Albums – sie sind allesamt mit seltsamen Drum-Fills und schrillen, kantigen Taktwechseln überlagert, während Hetfields rasende Punk-Riffs sich häufen und rücksichtslos drauflosballern.
Das grandiose Bass-Intro von ´Shoot Me Again´ leitet einen Monster-Groove ein, und die kratzenden Leads und schneidenden Riffs reißen zunehmend Narben hinein und verwandeln den Song in eine wütende, pochende Wunde. Lediglich der vergleichsweise konventionelle Rocker ´Sweet Amber´ fällt eindeutig aus der Rolle, und erinnert an den größtenteils chrompolierten Nu-METALLICA-Sound aus der ´Load/Reload´-Phase.
Aber das alles zermalmende Zwillingsfinale von ´Purify´/´All Within My Hands´ sorgt letztlich für den klassischen, abschließenden Adrenalinschub. Während ´Purify´ die atemlose und grundlegende Wildheit von ´Frantic´ über eine Reihe einfacher Riffs im Stil von Elektroschocks nachbildet, entfesselt ´All Within My Hands´ eine komplexe Batterie aus Rohheit und Pisse. „Kill! Kill! Kill! Kill!“ kreischt darauf ein völlig entfesselter Hetfield, wie in einer Art Berserker-Kampfrausch, während die Riffs in Panzergröße das Stück davontragen.
The Metallica Vinyl-Club-Release No. 2 in 2022: ´St. Anger Live Rarities´ mit vier Live-Tracks aus 2003 und 2004
Natürlich sind gleich einige Songs auf ´St. Anger´ zwei- oder gar dreimal länger als nötig, besonders wenn die meisten von ihnen nur aus einer Handvoll sich wiederholender Riffs bestehen. Aber viele dieser ungehobelten Berster sind in ihrem Kern einfach derart primitiv, pulverisierend und massiv, versehen mit wuchtigen Geschwindigkeitsschüben und teilweise sogar Beinahe-Blast-Beats, bei denen Ulrich auch Mal eine ganz andere Seite von sich zeigt.
Was ich an ´St. Anger´ aber am meisten mag, ist einfach nur, wie kaputt und zugleich ursprünglich es klingt! Es ist die Rückkehr zu einem größeren Gefühl von Realismus, als wenn es bei einem Jam in einer Garage eingespielt worden wäre, die nach nassem Hundefell und öligen Elektrowerkzeugen stinkt.
Trotz der Einschübe einiger Nu Metal-Anleihen, gibt es auf dem Album eine vorherrschend rohe Emotion und kahle Haltung, und wären die Songs auf jeweils anderthalb oder zwei Minuten gekürzt, hätte man gar über glühenden Punk sprechen können – ein grobes Durcheinander, mit phasenweisem Schlagzeug-Scharfsinn von Herrn Ulrich, der hier einige der schnellsten und kraftvollsten Beats seiner Karriere spielt, sowie etlichen ansteckenden Riffs, irgendwie mit Klebeband und Kaugummi zusammengehalten.
Aber, um nicht zu vergessen: ´St. Anger´ war auch genauso sehr das schmerzhafte Aufheulen einer verwundeten Band, die darauf aus war, ihr Revier zu verteidigen. Neben SLAYERs ´Diabolus In Musica´ gehört ´St. Anger´ für mich jedenfalls nach wie vor zu den unterbewertetsten Alben aller Zeiten!
(8,5 Punkte)
Favorites: ´Frantic´, ´St. Anger´, ´Dirty Window´, ´Shoot Me Again´, ´All Within My Hands´