NUBIVAGANT – The Wheel And The Universe
~ 2022 (Amor Fati Productions) – Stil: Ritual Black Metal ~
Die Trommel ist das zweitälteste Instrument der Menschheit, und diente wohl schon immer demselben Zweck: Naturgeister und später Gottheiten anzurufen oder zu besänftigen, und sich selbst sowie die Zuhörer in Trance zu versetzen, einen ausserkörperlichen Zustand anzunehmen, bei dem durch die stetig wiederholten dumpfen Schläge das Bewusstsein ausgeschaltet wird und das Unterbewusste die Führung übernimmt. Trommeln geben den Rhythmus an, gemeinsames Trommeln schafft sofortige Verbindung, aus Individuen entsteht eine im Takt wogende Gemeinschaft, die sich ganz dem Beat unterordnet, in ihm aufgeht – und damit ungeahnte Kräfte entfesselt. Leider wurde dies auch im Kampf und Krieg missbraucht, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte…
Nun kann man sich fragen, ob Drummer all dies ahnen, spüren oder sogar intuitiv um diese Macht wissen und deswegen ihr Instrument auswählen – bei Omega ist auf jeden Fall davon auszugehen. Der Italiener war und ist seit Dekaden an so vielen Black Metal-Projekten beteiligt wie wohl keiner sonst, und zeigt mit seinen Hauptbands wie jüngst gerade DARVAZA oder auch CHAOS INVOCATION, FIDES INVERSA, FROSTMOON ECLIPSE und KULT, wie gross der Anteil des Drummers an der Atmosphäre einer Gruppe ist. Denn dieser muss zum einen ein verlässliches Uhrwerk für die anderen sein, und sich zum anderen zugunsten des Bandorganismus zurückhalten können, so virtuos er auch sein mag. Für Omega ist all dies selbstverständlich, er brilliert durch seine unmenschliche Exaktheit, grossartige Technik sowie die Fähigkeit, sein Spiel genau an die jeweils benötigte Stimmung anzupassen.
Der Multiinstrumentalist hat (als seine andere Identität namens Thorns) bereits ein weiteres Soloprojekt am Start, DEATHROW, mit dem er seine Vision klassischen, rohen Black Metals auslebt, doch NUBIVAGANT ist etwas ganz anderes, denn hier singt er erstmals klar, und man muss sagen, engelsgleich und kraftvoll zugleich, wie man es nie von ihm erwartet hätte – und damit sind wir beim tatsächlich ältesten Instrument der Menschheit angelangt: der menschlichen Stimme.
Sie ist die andere Möglichkeit, Menschen zu hypnotisieren, zu verzaubern, viele Mythen und Sagen besingen diese Fähigkeit, Sirenen sind so gleichzeitig betörende, aber blutrünstige Meereswesen und heutzutage akustische Warnsignale. Stimmen, richtig eingesetzt, lullen ein oder stacheln auf, verführen oder erniedrigen, sprechen Recht oder bitten um Vergebung. Omegas Stimme dagegen ist, wie auch schon sein Schlagzeugstil, wie ein weisses Blatt Papier – eine Projektionsfläche deiner eigenen Gefühle und Gedanken. Das heisst nicht, dass er nicht nuanciert singen würde, aber er nimmt sich trotz oder vielleicht eher: angesichts der Schwermut und Endzeitstimmung seiner Themen möglichst neutral zurück, was einen sehr interessanten Effekt gegenüber den Blastbeats und monotonen Riffs ergibt.
Mit dieser Stimme könnte er auch epischen Doom oder sogar Darkwave singen, sie ist eine winzige Nuance brüchig, doch trotzdem fest, eben gestählt, und vor allem ungeheuer erhaben, majestätisch, abgeklärt und trotzdem weich, ja verführerisch. Wie er sie so lange Zeit nicht auf diese Weise erheben konnte, bleibt ein Rätsel, ist sie doch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, und wird ihm ganz andere Hörer erschliessen als seine sonstigen Projekte, worauf er jedoch möglicherweise gar keinen Wert legt, denn NUBIVAGANT ist ganz klar etwas, das Omega vor allem für sich selbst tut, sein ureigener Ausdruck.
Musikalisch setzt der Zweitling den bereits auf ´Roaring Eye´ beschrittenen Weg mit kleinen Kurskorrekturen fort, und orientiert sich dabei am wohl stärksten Song des Debüts, ´One Eye Upon The Grave´, was bedeutet, dass ´The Wheel And The Universe´ noch reduzierter instrumentiert und arrangiert, noch gleichförmiger und auch deutlich langsamer getaktet ist, nur zwei Stücke warten noch mit Blastbeats auf, der Hypnosefaktor ist dadurch jedoch vervielfacht. Dass diese betonte Monotonie schliesslich die Hörerschaft spalten wird, ist bewusst in Kauf genommen, die Riffs mäandern in endlosen Wiederholungen und Schleifen durchs All, was sich auch in der mystischen, universellen Tarot-Thematik des Albums wiederspiegelt. Es ist eine Zen-Meditation über den scheinbaren Gegensatz zwischen Vergänglichkeit und Unendlichkeit, NUBIVAGANT ist der Singer/Songwriter des okkulten Black Metal, die URFAUST nie sein wollten.
Wie es der Ritus verlangt, kann eine solche Platte nur zu einem ganz besonderen Datum erscheinen, und das ist diesmal die Sommersonnenwende. Diejenigen, die beim diesjährigen House Of The Holy vor Ort sind, kommen in den exklusiven Genuss, schon vor dem Erscheinungsdatum Tonträger erwerben zu können, nachdem NUBIVAGANT dort aufgetreten sind. Ich stelle mir ´Between The Moon And The Stars´ bei Feuerschein jedenfalls traumhaft sinnlich vor, und wie oft kann man das schon über Black Metal sagen? Eben.
(9 Hexensommersprossen)
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(VÖ: Sommersonnwend, 21.06.2022)