HIFIKLUB x SCORPION DAGGER feat. IGGOR CAVALERA & ALAIN JOHANNES – ScorpKlub I & II Original Soundtracks
~ 2022 (Electric Valley Records) – Stil: Electronica/Psych/Experimental ~
Unter ganz normalen Umständen wäre ich sicher nicht über dieses Werk gestolpert. Eigentlich suchte ich auf der Bandcamp-Seite des Labels nach anderen Infos. Dabei aber blieb ich kurz an diesem Stück Musik hängen. Ich weiß noch nicht einmal, was genau mich getriggert hat. Von der Band HIFIKLUB habe ich bisher noch nie gehört. Der einzige spontan mir bekannte Name auf dem Cover ist der des ehemaligen Drummers von SEPULTURA, Iggor Cavalera. Weiter fiel im kurzen Infotext die Heimatstadt der Band, Toulon, Partnerstadt meiner Stadt Mannheim. Zudem wurde erwähnt, dass die Musik sich auf Werke aus dem Touloner Kunstmuseum bezieht. Obwohl ich Toulon schon besuchen konnte, das Musée des Beaux-Arts konnte ich bisher nicht besuchen, einiges kenne ich aus der einschlägigen Literatur. Wer jetzt denkt, das kann nur ein Provinzmuseum sein, der irrt. Es gibt hier einiges sehr Bedeutsames zu sehen. Doch ehe ich abschweife…
…zurück zum HIFIKLUB. Eigentlich ist das nur ein Trio. Aber dieses Trio hat seit 2006 einige Projekte mit vielen Künstlern gestartet. Manches fand auf der Bühne statt, etwa beim Murex-Festival in Toulon, das Kreative und Digitale Kulturen zusammenbringt. 16 Alben sind bei Discogs gelistet, es ist aber möglich, dass diese Liste noch nicht einmal vollständig ist. Und weil nur akustische Kunst kaum genug ist, haben sie auch Filme mitgestaltet. Kein Wunder also, dass sie bei erwähntem Festival mit James Kerr zusammenkamen. Der ist eventuell bekannter unter seinem Künstlernamen SCORPION DAGGER. Unter diesem gestaltet er animierte digitale Collagen, basierend auf Kunstwerken der Malerei von der Renaissance fast bis heute.
Warum also auch immer das gute Stück unbedingt zu mir wollte, ich habe den Ruf erhört. Das gute Stück musste her. Völlig unbeleckt, ganz ohne Erwartungen, wird es ausgepackt. Das schöne Artwork wird bewundert, die Infos studiert. Das Innencover ist unbedruckt, das äußere und die beiden Labels auf dem Vinyl geschmückt mit vier Gemälden, die leicht verfremdet wurden. Nur in Nuancen, aber genug, um irritiert ein zweites Mal zu schauen. Drei Bilder stammen von eher unbekannten aus der Provence stammenden Malern des 19. Jahrhunderts. Dazu eine Ikone des französischen Barock, eine Judith von Valentin de Boulogne. Hier auch der größte Eingriff ins Bild. Judith hebt eben nicht triumphierend den Arm, sondern greift mit ihren Fingern in Holofernes Augenhöhlen.
Und dazu erklingen die ersten Töne. Zweimal zehn Miniaturen verteilen sich auf dem Longplayer, der bisher ausschließlich als Vinyl erhältlich ist. Für Sammler gibt es zwei Farbfassungen, 250 Stück in Solid Pink, 200 in Galaxy Green/Blue. Der Opener ´Hate Music´ ist mit drei Minuten schon fast ein Longtrack. Manche anderen Stücke erreichen nicht einmal 60 Sekunden. Was man hört ist selten eingängig, selten schön. Vieles klingt harsch, kratzig, wie das Stück Kreide an der Schiefertafel. Und dem Titel gemäß, es klingt alles wie Soundtrack, beim Hören spüre ich, es fehlt noch etwas. Es fehlt eine zusätzliche Dimension, die die Musik verbindet mit den Gedanken der Künstler und denen des Hörers. Hier kommt eben SCORPION DAGGER ins Spiel. Zu den zehn Stücken auf der A-Seite , die zusammen mit Iggor Cavalera entstanden, gestaltete er zehn Clips unter Verwendung von Kunstwerken aus dem Museum Toulon. Zu ´Hate Music´ etwa kommt die Dame ins Bild, die die Rückseite der Hülle ziert. Genau an dieser Stelle ergibt auch der verzerrte Mund Sinn, der in der gedruckten Version allerhöchstens verwirrt. Erst zusammen mit den Bildern also entsteht der volle Genuss.
Die Rückseite entstand genau anders herum. Hier improvisierte das Trio zusammen mit Alain Johannes (THEM CROOKED VULTURES, QUEENS OF THE STONE AGE) live auf der Bühne beim Murex Festival in Toulon im Juli 2021 zu bewegten Bildern von SCORPION DAGGER. Das klingt noch harscher, noch roher. Die Nägel kratzen noch tiefer in die Haut. Der Schmerz zieht noch etwas mehr in die Innereien. Das Schwarz wird tiefer, das Grau noch bedrohlicher. Dafür verantwortlich sicher auch das Gitarrenspiel des Gastes. Die Beiträge des ehemaligen SEPULTURA-Drummers im ersten Teil scheinen weit weniger wirkungsvoll.
So stehen auf dieser Platte kleine tanzbare Stücke wie ´Bed Dance´. Das allerdings ist so kurz, kaum hat man sich eingegroovt, ist es schon vorbei. Einige eher elektronische Einsprengsel haben gemeinsame Vorfahren mit den kürzlich hier vorgestellten MAYBERIAN SANSKÜLOTTS aus Budapest. ´Weird Five´ schmeckt und riecht nach geräuchertem Kraut. In einem Film wie Spielbergs “Unheimliche Begegnung der Dritten Art” dürfte sich ´Navy´ wohlfühlen.
Aber, wie schon gesagt, die volle Wirkung erzielt das Ganze erst im optischen Zusammenhang. Da wird vermeintlich verstaubte Kunst aus vermeintlich verstaubten Museen mit einem Blick aus dem Heute ins Heute transferiert. Götter fallen vom Himmel und König David fährt Bus. Mehr will ich gar nicht verraten, da muss sich jeder sein ganz eigenes Bild machen. Am Ende steht die Feststellung, dass dieses Album Lust macht, auch wieder einmal ins Museum zu gehen und alte Bilder neu zu entdecken. Und der HIFIKLUB macht genauso Lust, auch Musik außerhalb der eigenen Komfortzone zu entdecken.
Für das Gesamtkonzept wäre sicher die volle Punktzahl fällig. Da auf dem Vinyl leider der optische Aspekt entfällt, der zum Verständnis fast schon essentiell wäre, hilfreich etwa auf dem Innersleeve Abbildungen aller benutzter Kunstwerke, bleiben 9 Punkte stehen.
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