IN APHELION – Moribund
~ 2022 (Edged Circle Productions) – Stil: Heavy Black Metal ~
Perfektion ist ein schwieriges Konzept. Nicht nur in der Kunst scheinen sich absoluter Anspruch und kreatives Ausleben von Emotionen gegenseitig auszuschließen, kann doch menschliches Schaffen per Definition nicht vollkommen sein, auch wenn jeder Künstler natürlich seinen persönlichen Vorstellungen, seiner Vision so nah wie nur möglich kommen will. Dass Menschen fehlerbehaftet sind, ist dabei Herausforderung und Ansporn zugleich.
Im Metal treffen diese beiden Pole, fehlerfrei angestrebte Performance, komplexes Songwriting, und auf der anderen Seite das ungefilterte Rauslassen von all dem, was durch die Musik ausgedrückt werden will, tief in einem schlummert oder schon länger an der Oberfläche gärt und wütet, diametral aufeinander. Sind hier doch die allermeisten Musiker absolute Virtuosen an ihren Instrumenten und agieren technisch auf ganz hohem Niveau – dazu braucht man sich nicht mal die zum Trend gewordenen Playthrough-Videos anzuschauen, das hört man sofort. So auch auf ´Moribund´, dem Debütalbum von IN APHELION. Es ist, wie generell im Black Metal, ein Paradebeispiel dafür was passiert, wenn Virtuosität, ausgeprägtes Musikverständnis und persönliche Ansichten sowie Gefühle, die im gesellschaftlichen Alltag zurückgehalten werden, aufeinanderprallen.
Und reisst einen mit seiner wilden, ungestümen, ungefilterten Art bei gleichzeitiger Eingängigkeit umso mehr mit. Was sich bereits Ende letzten Jahres mit dem ersten Lebenszeichen ´Luciferian Age´ (unser Review dazu findet ihr hier) ankündigte, überrollt uns nun mit voller Wucht, fast eine Stunde lang saugt uns dieser Mahlstrom ein und nimmt uns absolut in seiner eigenen emotionalen Welt gefangen. Und das ist die innere Welt Sebastian Ramstedts, an der er uns teilhaben lässt in einer fast schon intimen Art und Weise, wie es bei NECROPHOBIC nicht möglich und vermutlich auch gar nicht gewollt ist. Natürlich finden wir, gerade was die mit Johan Bergebäck geteilte hochmelodische Gitarrenarbeit angeht, enorm viele Parallen zu deren letzten beiden Alben, stammen die Songs darauf ja ebenfalls aus seiner Feder. Doch IN APHELION, das ist nun seine ganz eigene Ausdrucksform.
Zu den ersten vier Songs muss ich keine vielen Worte verlieren, sie folgen dem Schema der EP und dieses lässt sich ausführlich dort nachlesen, das galoppierende ´Draugr´ und ´Luciferian Age´ mit seiner Death’n’Roll-Schlagseite wurden dort bereits veröffentlicht. Der Einstieg ´World Serpent (Devourer Of Dreams)´ funktioniert ein bisschen wie ein Vorstellungsgespräch, indem es die Wurzeln der Band in Black-, Death- und Thrash-Metal plus einer starken Verehrung traditionellen britischen Heavy Metal kunstvoll miteinander verbindet und auf einem schwarzglänzenden Silbertablett serviert. Im Laufe des Songs öffnet sich die Bühne immer mehr und zeigt, was die schwedisch-niederländische Combo noch alles in der Hinterhand hat – ohne vorschnell all ihr Pulver zu verschiessen, dafür nehmen sich die Drei später noch genug Zeit. Das hyperschnelle ´Let The Beast Run Wild´ macht nicht nur seinem Namen alle Ehre, es hätte auch sehr gut als Albumtitel getaugt, denn gerade darum geht es hier, die Bestie von der Leine zu lassen. Es ist sozusagen der Motivationssong der Band selbst, hat sie doch tatsächlich allem, was aus ihrem Inneren an Emotionen und Ideen aufstieg freien Lauf gelassen.
Doch dann wendet sich das Blatt auf einmal mit der Powerballade ´This Night Seems Endless´ und eröffnet eine zweite Hälfte, die nochmal ganz andere Seiten der Band zeigt. Gut, ´Draugr´ hatte schon darauf hingewiesen, in eine tiefe, melancholische Sehnsucht und Trauer eingeführt, doch die Tragik und Verzweiflung dieser endlos gedankenschweren, schlaflosen Nacht packt den Hörer an einer anderen, persönlicheren Stelle:
The abyss is endless
Eternal is my fall
This abyss is endless
And the godless dark is all
Gekrönt wird der Song von einem ganz klassischen Solo im MAIDEN-Fahrwasser, und Ramstedts garstiger Gesang wirkt im Kontrast zu den vergleichsweise leisen Tönen natürlich noch beeindruckender. Gleich in Folge nimmt das unheilschwangere, lospreschende ´He Who Saw The Abyss´ das Thema des endgültigen Abgrunds, der uns alle irgendwann erwartet, wieder auf, und das Meisterwerk ´Requiem´ wird das Album schließlich mit dem Gedenken an die Toten, die uns vorausgegangen sind, beenden.
Zuvor fesselt das Viking-angehauchte ´Moribund´ erneut mit einem mythologischen Thema, und majestätischem Riffing. Dass Ramstedt bei IN APHELION Leadgitarre UND Bass bedient, wirkt sich nochmal antreibend auf den ewig rollenden Groove aus, der die Platte von Anfang bis Ende anfeuert. Bei ´The Origin´ mit seiner raffinierten, stampfend-leadgekrönten Rhythmusbetonung bleibt kein Haupt ungeschüttelt, und beim resignativen Riffmonster ´Sorrow, Fire & Hate´ zeigen die beiden seit Jahrzehnten aufeinander eingespielten Freunde, was zwei Gitarrenvirtuosen an Emotionen aus ihren mal allein, mal gepaart gespielten Instrumenten herausholen können. Durch seine schwedische Melodie- und Detailverliebtheit, das straighte, und gleichzeitig progressive Songwriting und die starke Rhythmusbetonung ist das Powertrio auch für diejenigen geeignet, die mit BM sonst nix am Hut haben, denn hier wird durchgehend gleichzeitig den NWoBHM-80ern und Thrash-90ern gehuldigt.
Doch das Beste kommt zum Schluss, wenn man nach einem Alben voller Höhepunkte so etwas gar nicht mehr erwartet. ´Requiem´ ist nicht nur emotionales Meisterwerk, gleichzeitig zu Tränen rührend wie erhebend und das Thema des Albums, Tod, Verlust und Loslassen würdevoll abschliessend, es ist zudem ein veritabler Ohrwurm, ein Black/Death-Hit, der dieses Jahr weltweit während so mancher Festival-Umbaupause vom Mischpult laufen wird. Treibend, auf simpler, aber umso wirkungsvoller Riff-Basis aufbauend, sich langsam hochschraubend und die Spannung steigernd, ist es mit seinen grossartigen Lyrics eine Verneigung vor allen, die nicht mehr unter uns sind, und vor allem vor dem viel zu früh verstorbenen L.G. Petrov von ENTOMBED, der wie auch Quorthon auf dem Stockholmer Skogskyrgården begraben ist, auf dem das Video entstand, genauso wie die berühmten Kreuz-Bilder aus dem ´Left Hand Path´-Booklet, die den Friedhof noch heute zur Death Metal-Pilgerstätte machen. Eine grosse Geste des Abschieds und der Ehrerbietung an einen langjährigen Freund schliesst ein kraftvoll packendes und gleichzeitig tiefgehendes und berührendes Debütalbum ab, zu dem im melodischen Black Metal in diesem Jahr eigentlich kaum noch eine Steigerung möglich ist. Und um den Kries zu schliessen, fehlt noch die Frage: ist es perfekt? Natürlich nicht, aber nach Genrerichtlinien verdammt nahe dran. Es hat Ecken und Kanten, Persönlichkeit und Eigensinn, und das ist auch gut so, denn dieses Trio steht ja erst ganz am Anfang. Von IN APHELION wird noch zu hören sein.
Let them dance on the dead like flames do
Let the dead go
Let it color your soul like nights do
Let it be you
Let the memories sing like memories do
Never let them go
Let your days end in the life you know
Let them go
Let the light fade to black from gray
To night from day
Let the dead speak like only dead can do
Let their voices embrace you
Let them sound far and wide
Ring the bells
Let the world hear our lament
Ring the bells
Let the final hymn chime
Ring the bells
For we have reached the end of our time
(9,6 Punkte)