TIME HORIZON – Power Of Three
~ 2022 (Melodic Revolution Records) – Stil: Art Rock ~
Artrock. Ein edles Genre. Und auch ein oft wenig Beachtetes im Schatten von AOR, Prog- oder Classic Rock. Manche wissen bis heute nicht, was den Rock zu “ART”Rock macht. Hierzu ein kleines Eingangsbeispiel:
Nur SAGA klangen je wie SAGA, auch wenn damals THE QUEST nahe dran waren. Bis jetzt.
Der Opener und die Single ´Living For A Better Day´ atmet den kommerziellen Geist SAGAs zu ´Behaviour´ oder ´Wildest Dreams´-Zeiten, wobei dieser Song zu jener Zeit besonders auf letzterem Album ein absolutes Highlight dieser oft verschmähten Scheibe gewesen wäre (mehr dazu hier). Das liegt neben der eigentlich unkopierbaren, aber unglaublich nahe an der fast Crichton-esquen Gitarrenakrobatik natürlich – oh Wunder – am Gaststar “The Voice” Michael Sadler.
Doch so fantastisch diese Kollaboration geworden ist, so hätten TIME HORIZON diese Werbemaßnahme gar nicht nötig gehabt, denn was die Kalifornier um das Gründungsduo Ralph Otteson (Keyboards & Backings) und Bruce Gaetke (Schlagzeug, anfangs auch Sänger) auf ihrem mittlerweile dritten Longplayer abliefern, gehört in die absolute Königsklasse des modernen Art Rock neben Vertretern wie den ROCKET SCIENTISTS, 3.2 (deren famoses letztjähriges Album ´Third Impression´ nicht nur vom Titel her die Brücke zu ´Power Of Three´ schließt) oder den DUKES OF THE ORIENT.
Gerade die klassischen Keyboardorgien könnten von dem Raketenwissentschafltler als auch Fernost-Duke Erik Norlander stammen, der harmonische Hintergrund dazu sogar vom Tanze mit dem ´Moonlit Knight´ von GENESIS. Ein beinahe achtminütiges Paradestück aus dem Lehrbuch für den Artrock.
Das wunderschöne ´I Hear I See´ trägt gar die elegische Emotionalität von DURAN DURAN im Refrain, während das instrumentale ´Prelude´ neben klassischen Hammondsounds auch die epischen Fanfaren eines Keith Emerson (ELP, 3.2 – siehe weiter oben) wieder aufleben lässt und überleitet in das von Bruce gesungene ´The Razors Edge´ – einem famosen Track, bei dem man fast schon darauf wartet, dass John Payne (ASIA, DUKES OF THE ORIENT) als Gaststar um die Ecke kommt oder man den Eindruck bekommt, man hätte es mit der rockigeren Version von TEARS FOR FEARS zu tun.
Fans des melodisch erzählenden Gefühlsbass werden bei ´Steve’s Song´ an einen Don Schiff (ROCKET SCIENTISTS) und seinen Chapman Stick denken, im Hintergrund werden dazu Jim Gilmour (SAGA) -Keyboardteppiche gewebt. ´Time To Wonder Why´ hätte ebenfalls eine Sadler’sche SAGA-Ballade sein können und lebt vom gefühlvollen Gesang, der so wohlklingend in die Ohren schwebt wie das angenehme Organ von Mark McCrite (ROCKET SCIENTISTS) und wer nach all’ diesen Emotionsausbrüchen denkt, dass TIME HORIZON nicht rocken können, wird von ´The Great Divide´ eines Besseren belehrt – einem kraftvollen Brecher, der wiederum das Beste aus der großen Zeit von KANSAS, ELP oder YES zelebriert.
Den beinahe schon düsteren Abschluss macht das grandiose ´Digital Us´, dessen textliche Botschaft unmissverständlich sein dürfte.
Die qualitative Nähe zu den von mir bisher oft zitierten ROCKET SCIENTISTS liegt in der ebenso perfekten Verknüpfung von Melodie und überragender Musikalität, was auch die jeweiligen Soloauftritte der Herren Ralph & Bruce und ihrer aktuellen Crew Allen White (Bass), Dave Miller (Gitarre & Keyboards), David Bradley Mau (stimmlicher Fronter & Keyboards) und Michael Gregory (Gitarre & Backings) unterstreichen. Herrliche Melodien, eine kraftvolle Rhythmusgruppe und exzellente Gitarrenarbeit treffen hierbei auf Keyboardvirtuosität, die in der Tradition von ELP, ASIA, SAGA oder YES bis hin zu den GENESIS der Peter Gabriel -Ära steht.
TIME HORIZON bringen die “Art” zurück in den Rock und ich bezweifle, dass ich dieses Jahr noch einmal soviel Glück habe, in dieser Kategorie über irgendjemanden zu stolpern, der diesen kalifornischen Sonnengemütern auch nur annähernd das Wasser reichen kann!
Nun müssen wir Europäer nur noch hoffen und beten, dass das Label “Melodic Revolution Records” endlich Vertriebskontakte nach Übersee knüpft und wir mehr von den fantastischen Künstlern ihres Rosters auch phyisch genießen dürfen, anstatt aus Kostengründen auf Bandcamp-Downloads zurückgreifen zu müssen….