THURSTON MOORE – Screen Time
~ 2021/2022 (Southern Lord) – Stil: Avantgarde/Psychedelic/Experimental ~
Das Instrumentalalbum ´Screen Time´ wurde bereits im Februar 2021, praktisch ohne jegliches PR-Rollout, auf “Bandcamp” hochgeladen und ist ein weiteres in einer langen Reihe von experimentellen Nebenprojekten des Ex-SONIC YOUTH-Masterminds Thurston Moore, das nun erstmals via „Southern Lord“ auch in physischer Form veröffentlicht wird. Seine Solokarriere erhielt bislang in erster Linie für jene Werke größere Aufmerksamkeit, die erkennbare Songstrukturen und seinen charakteristischen, flachen Gesangsstil aufweisen – mit anderen Worten, diejenigen, die mehr oder weniger nach SONIC YOUTH klingen.
Allerdings gab es bereits im Laufe der Karriere seiner langjährigen Stammband auch immer wieder vereinzelt Noise-Rock-Angebote, die ihn im Rahmen von kleineren Projekten von seiner avantgardistischeren Seite zeigten, überwiegend herausgebracht beim bandeigenen Label oder weit weniger bekannten Tonträgerfirmen. Thurston Moore hat diesen Trend mit seinen jüngsten Soloarbeiten fortgesetzt, und auf Alben wie ´Rock N Roll Consciousness´ und ´By The Fire´ folgten sogar noch wesentlich experimentelle Werke wie ´Spirit Counsel´ und jetzt eben ´Screen Time´.
Moores Gitarre ist auf ´Screen Time´ jedenfalls das eindeutig dominante Instrument, und die Stücke sind zumindest teilweise komponiert, mit zahlreichen Overdubs, die über ein breites Stereofeld verteilt worden sind. Es herrscht nur wenig Chaos und Abstraktion, wobei kaum lineare Progressionen oder Dynamikverschiebungen vorhanden sind – manchmal klingen die Songs schon beinahe loop-basiert, aber Moores Spiel ist einfach zu locker, um dabei feste Muster erkennen zu lassen. GLENN BRANCAs Solowerke sind zweifellos eine sehr naheliegende Referenz, um den Sound auf ´Screen Time´ am treffendsten zu positionieren.
Der Opener ´The Station´ schichtet gleich einige dissonante Akkorde, die von einem Chorus-Effekt durchdrungen sind, mit etlichen Saiten-Kratzern, die überall verstreut werden. Überhaupt verbreiten die ersten drei Songs allesamt das gleiche Motiv, mit ihren klirrenden, beunruhigenden Tönen, die mit unterschiedlichen Reizgraden gerieben werden. ´The Station´ beginnt zweifellos mit den kantigsten Klängen, während ´The Town´ noch verstörender ist, mit seinem anschwellenden Glockenläuten in der Exposition.
In einem kurzen Album-Statement bemerkte Moore, dass er die Musik als Partitur für einen imaginären Film Noir konzipiert hat, was dem Werk schließlich auch einen gewissen Kontext verleiht, denn gerade die entspannte, nuancierte Atmosphäre sorgt für den cineastisch anmutenden Spielraum, mit zartem Spiel und lebendiger Essenz.
Das fast neunminütige Finale ´The Realization´ fasst mit den sich ständig wiederholenden Scratches, Loops und Schallglocken schließlich nochmals alles zusammen, was dieses Album so ausdrucksstark macht, und es ist zudem ein ganzes stückweit fleischiger als alles zuvor Gehörte.
´Screen Time´ fühlt sich eher skizzenhaft an, denn als ein fertiges Produkt, aber seine transzendentale Qualität ist mal wieder ein weiterer Beweis für Moores beispiellose virtuose Kreativität.
(7,5 Punkte)
(VÖ: 25.02.2022)