E-AN-NA
Interview mit Andrei Oltean
~ Auf dem Weg nach Europa ~
Abgeschieden, hinter den Ketten der rumänischen Karpaten und doch mitten in Europa, liegt Siebenbürgen, auch bekannt als Transsylvanien. Diese Region war immer ein Zankapfel. Unter der magyarischen Herrschaft im Mittelalter wurden deutsche Siedler geholt, um das Land urbar zu machen. Es folgten Schreckenszeiten, es fallen Namen wie Vlad Dracul. Teile des Landes fielen unter Vorherrschaft der Hohen Pforte. In der folgenden Zeit, als das Land unter die Habsburger fiel, wurden weitere Siedler aus dem Westen geholt. Zu jener Zeit war Baron Samuel Brukenthal aus Herrmannstadt ein hoher Beamter in Wien. Seine Kunstsammlung war Grundstock eines der ältesten gewachsenen Museen in Osteuropa das Muzeul Brukenthal. Nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien zugehörig, zogen während der Schreckensherrschaft Ceaucescus viele Siebenbürger Sachsen nach Deutschland. Ganze Orte verödeten. So zog es sich durch die Jahrhunderte in diesem Vielvölkerland, eine Gruppe hat immer mit Macht und Gewalt die anderen unterdrückt.
Ich habe als Kind in den 80ern sehen dürfen, wie stark die Armut war. Kinder am Straßenrand bettelten um Zigaretten und Kaugummi. Benzin gab es (wenn überhaupt) nur gegen Gutscheine. Trotz aller Armut, selten habe ich so viel Gastfreundschaft erlebt. Das letzte Ei wurde hergegeben, der letzte Tropfen Milch, wenn man auf einem Dorfplatz im Wohnwagen Halt machte. Der Ruf Rumäniens war so schlecht. man erzählte sich sogar, dass von Autos, während Leute drin schliefen die Räder abmontiert wurden.
Heute ist Rumänien Teil der EU. Ja, immer noch kämpft man mit Korruption und Armut. Noch immer werden Menschengruppen ausgegrenzt, man denke da an Sinti und Roma. Aber, man ist auf dem Weg in die Zukunft. Sibiu war 2007 Europas Kulturhauptstadt. Der Tourismus boomt. Ein ehemaliges Bergwerk in Turda bei Cluj-Napoca dient als unterirdischer Freizeitpark. In einigen Städten hat sich wichtige Industrie angesiedelt. An den Universitäten wird gelehrt und gelernt.
Ein weitläufiger Bekannter aus Rumänien, der oft als Tourmanager vor allem mit Death und Black Metal Bands unterwegs ist, postete vor ein paar Tagen E-AN-NA. Ein TV-Mitschnitt zum rumänischen Vorausscheid zum ESC, dazu diskutierte er, ob dieser Song ´Malere´ zu rumänisch, zu wenig europäisch klingt, oder eben nicht. Die Playback-Show ist schon ein wenig peinlich. Schließt man aber die Augen, hört man aber einen eingängigen, auch poppigen Song, der mit einer Prise Augenzwinkern dargeboten wird. Irgendwie macht das auch nichts mit dem Pop, KISS hatten ja auch ihr ´I Was Made For Loving You´. Zumindest ich wurde neugierig. Sicher ist es ein Fall von Love “It Or Hate It”, mir ist klar, da klopfe ich die Diskographie ab.
So einen provokant auf Pop getrimmten, plakativ auf ein europäisches Massenpublikum schielenden Song findet man kein zweites Mal. Dafür geht es rund auf den diversen Download-Releases und dem 2019 als CD erschienenen Album ´Nesfarsite´. E-AN-NA plündern, was zu plündern geht. SEPULTURA-Riffs treffen auf Klarinette, Geigen und Flöten, Death-Growls auf sanfte Frauenstimmen. Immer sind da diese sich latent in den Vordergrund schiebenden folkloristischen Elemente. In ´Pânda´ wiehert plötzlich ein Pferd. Über allem thront die Stimme von Andrei Oltean, der zuletzt ja schon mit DORDEDUH auftrumpfte. Das klingt nach Rumänien, in vielen Facetten.
Das weckt Erinnerungen. Da war ich als Zehnjähriger, der in einem Weinkeller in Șeica Mică, zu deutsch Kleinschelken, im Weinkeller alle Weinfässer durchprobiert. Ich sehe meinen Vater, der vorsichtig durch die Orte fährt, um nicht das letzte Huhn eines Bauern zu überfahren. Ich sehe alte Dörfer, überragt von Wehrkirchen, wo das Lied ´Ein Feste Burg Ist Unser Gott´ neuen Sinn bekommt. Oder ich sehe die Erdölfördertürme, die damals die Autobahn bei Pitesti säumten.
So bunt und laut ist das Album. Das wird mit einer Verve vorgetragen, voller Ernst, wenn Thrash, dann aber voll in die Fresse. Dann wieder voller Humor, wann hört man schon Pferde wiehern oder Schafe blöken? Damit es nicht zu geradeaus geht, wird dann losgeproggt. An anderer Stelle herrscht FLOYDsches Schweben. Selten habe ich so eine harmonische Verbindung gehört zwischen extremer Härte und Traditionen der Volksmusik, eigentlich nur bei den Orient-Metallern von ORPHANED LAND.
Also nehme ich Kontakt auf. Und trotz des Stresses, den die Band gerade mit TV-Auftritten hat, nimmt sich die Band in Persona von Andrei Oltean Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten.
Hallo erst einmal, und Danke für Eure Zeit. Der Song ´Malere´, der im Vorausscheid zum ESC steht, entstammt Eurer EP ´M.L.R.´ von 2021. Die kommt mir insgesamt sehr viel kommerzieller vor, als alle Euren älteren Sachen. Hattet Ihr da schon den Gedanken, nach Turin fahren zu wollen? Der Song klingt für mich tatsächlich so, als würde er dahin gehören.
Hallo und Dankeschön für die Einladung! Ja, eigentlich hat der Song nichts mit ESC zu tun gehabt. Wir haben am Anfang des Jahres 2021 ein Experiment gestartet, und zwar, wir sind 7 Leute (8 mit Bogdan de la Valcea), und haben sehr unterschiedliche musikalische Backgrounds, also wollen wir viele verschiedene Dinge machen. Wir haben mit ´Fascinathanatango´ gestartet, einem bisher nur digital veröffentlichten Album, einem Mix zwischen Tango, Folk und manchmal sogar Mathcore. Später haben wir ´M.L.R.´ herausgebracht, auf der auch ´Malere´ sich befindet. Wir glauben nicht, dass ein Band nur ein Genre spielen darf, und wir haben kein Label, also können wir alles machen was wir möchten. Bei Musik geht es um Freiheit.
Habt Ihr Euch beworben oder hat Euch jemand vorgeschlagen?
Sehr viele Leute haben es uns vorgeschlagen. Wie gesagt, das war nicht unser Ziel, aber wir haben sehr schnell bemerkt, wie schnell man sich dieses Lied merkt, und wie gut es läuft. Und deswegen dachten wir: „Warum eigentlich nicht? Es würde passen.“
Ich finde immer spannend, wenn Bands in ihrer Heimatsprache singen. Das gibt eine eigene Note, ist aber manchmal schwierig zu verstehen. Wie wichtig sind Eure Texte für Euch?
Genau, die eigene Note ist der zentrale Punkt. So viele Musiker singen in englisch, obwohl viele von ihnen englisch nicht als Muttersprache kennen. Ich kann es auch sehr gut sprechen, aber es geht auch um die Aussprache, und das ist sehr schwer zu kontrollieren für uns Ausländer. Außerdem, alle Sprachen haben etwas Einzigartiges, eine eigene Musikalität, und es wäre schade, das nicht auszunutzen. Zum Beispiel meine Lieblingsband, ARKONA, die haben ihre Texte in Russisch. Bis etwa vor zwei Jahren, ich wusste überhaupt kein Wort russisch. Aber ich höre sie seit 2005, und ich kenne ihre Texte. Und ihre Musikalität für mich ist sogar wichtiger als ihre Bedeutung, weil die Sprache verhält sich wie ein Instrument. Und das glaube ich auch über die rumänische Sprache. Das muss man nutzen. Und wer es nicht versteht, aber es verstehen WILL, heutzutage ist es ganz einfach. Ich weiß, Google Translate ist nicht perfekt! Aber man verliert so vieles wenn man nur in den „Hauptsprachen“ der Welt singt.
In der letzten Single ´Amprentă´ beschäftigt Ihr Euch mit dem Umgang von uns Menschen mit der Natur. Das scheint für Euch schon sehr wichtig zu sein.
Ja, bestimmt. Ich will glauben, dass Musik die Welt ein winziges bisschen besser machen kann. Und das macht man auch durch verstehen, verstehen wo wir leben, was wir selbst unrecht machen, und manchmal sogar, dass wir etwas besser machen können. Überdies, der Text ist völlig am Computer generiert. Es gibt keine Verbindungswörter wie „und, so, als“ usw., damit man näher am Fühlen eines Tieres ist.
Woher kommt E-AN-NA eigentlich und wie habt Ihr zusammengefunden?
Wir haben in Sibiu 2015 gestartet. Jetzt sind wir doch 7 Leute in 6 Städten. Ich und Gitarrist Ovidiu haben vorher andere Projekte gehabt, und im 2015 wollten wir das nächste Level erreichen, etwas mehr Komplexes und Einzigartiges machen.
Und was bedeutet der Name?
E-AN-NA bedeutet „Das Heim des Himmels“ in Sumerisch. Ich fand das passend, weil E-AN-NA für uns bedeutet, einen Platz zu haben, wo man nicht über die alltäglichen Probleme nachdenken muss. Dort geht es nur um die Musik, um die Schönheit in der Welt.
Ich kenne von youtube ein paar Livemitschnitte. Ich finde, Ihr zeigt da, dass Ihr für die Bühne gemacht seid. Wie schwer waren die zwei letzten Jahre?
Diese letzte zwei Jahren waren schwer für alle, besonders für Musiker. Vorher hatten wir im Durchschnitt etwa 30 Konzerte. Während der Pandemie haben wir zwei Konzerte pro Jahr gehabt, glaube ich. Glücklicherweise ist die Bühne nicht das einzige Element für Musiker. Wir haben sehr viel gearbeitet, auch während der Pandemie. In 2020 haben wir 6 Singles herausgebracht. Eine davon gemeinsam mit meiner Großmutter, die dem Song ´Biba´ auch den Namen gab. 2021 haben wir 2 EPs gemacht, ´Fascinathanatango´ und ´M.L.R´. Außerdem haben wir an einer LP gearbeitet, die noch nicht fertig ist. 2022 haben wir ´Amprentă´ veröffentlicht und außerdem haben wir uns, natürlich, um den ESC gekümmert. Also waren wir immer beschäftigt. Es ist sehr schwer, mit den Fans nicht mehr so oft live zu interagieren, Es ist unheimlich schwer für uns finanziell, weil wir im letzter Zeit kaum Geld verdient haben. Aber wir müssen natürlich weiterhin die Miete für unseren Studioplatz bezahlen, und so weiter.
Als wir damals in den 80ern im Familienurlaub unterwegs waren, fiel immer auch der Satz “Wien, aber leider dürfen wir nicht abbiegen.” Wie wichtig ist für Euch das heutige Europa mit den offenen Grenzen?
Es ist sehr wichtig. Wir sind jung, wir haben den Kommunismus nicht erlebt, wie unsere Eltern. Aber als wir aufwuchsen haben wir immer Erzählungen über die damaligen Schwierigkeiten und das Unrecht gehört. Offene Grenzen bedeuten die Möglichkeit für alle zu spielen, die Welt zu sehen und dadurch Inspiration zu erhalten. Obwohl die meisten unserer Fans immer noch in Rumänien sind, haben wir sehr viele Fans auch im anderen Ländern, und wir wollen alle treffen und für alle spielen.
Eure Musik zeigt Eure Verbindung mit Eurer Heimat. Was bedeutet Euch Heimat?
Ja, wir spielen Volkmusik zwischen anderen Sachen, und das ist, natürlich, eine wichtige Seite unserer Identität. Wie vorher gesagt, wenn alle englisch singen, oder wenn alle derselben Stil verwenden würden, dann würde die Diversität verschwinden. Unsere Wurzeln leisten einen wichtigen Beitrag zu unserer Identität und Einzigartigkeit. Wir sind hier groß geworden, wir haben alles hier gelernt, unsere Berge sind unheimlich schön, und man muss das erkennen. Trotzdem, bin ich nicht einer der sagt „Ach, Rumänien ist das schönste Land der Welt“, weil ich kaum etwas von der Welt gesehen habe. Es ist schön und wichtig für unsere Musik und das ist genug.
Gibt es auch Dinge, die Euch an und in Eurem Land richtig ärgern?
Natürlich. Aber wo gibt es diese nicht? Es ist nicht einfach hier zu leben. Zum Beispiel, fast alle von uns arbeiten nebenbei in anderen Jobs, weil, was wir machen andernfalls finanziell unmöglich ist. Unsere Politik hier ist auch sehr rudimentär, sehr osteuropäisch geprägt und manchmal sogar mit undemokratischen Tendenzen. Glücklicherweise aber fühlt man immer mehr, dass wir ein Teil von Europa sind. Alle diese Sachen sind das Ergebnis mangelnder Bildung und das ist unser größtes Unglück, meine ich.
Wisst Ihr schon, was nach dem ESC kommt? Plant Ihr Auftritte?
Ja, wir habe schon einige Konzerte geplant, und auch neue Musik, wie gesagt!
Gibt es auch ein neues Album in der nächsten Zeit?
Wir hoffen im Herbst oder Winter, aber bis dann haben wir noch ein paar andere Sachen zu erledigen.
Da sind auch viele Songs von Euch, die bisher nur digital erhältlich sind. Wie wäre es, die auf einem Album noch zusammenzufassen?
Viele von diesen Singles werden auf dem erwähnten Album erscheinen, zusammen mit neuen Liedern natürlich.
Vielen Dank für dieses Interview, und ich bitte um Entschuldigung für mein schreckliches Deutsch. Ich habe es schon seit Jahre nicht mehr verwendet…
Ich bin froh, dass Du deutsch kannst, sonst hätten wir das hier gar nicht machen können. Aber im Ernst, ich danke für die geduldige Beantwortung meiner Fragen. Mittlerweile ist übrigens klar, in Rumänien ist man scheinbar ebenso wenig mutig, wie bei uns, wenn es um die Kandidaten für den ESC geht. E-AN-NA sind genauso wenig in Turin zu hören wie unsere ESKIMO CALLBOY. Vielleicht sollten sich diese beiden Bands für ein paar Konzerte zusammentun. Das könnte ich mir gut vorstellen. Zumindest wäre eine riesige Party angesagt. Nach zwei recht tristen Jahren hätten sich Bands und Fans diese Party sicher mehr als verdient.