ANNA VON HAUSSWOLFF – Live At Montreux Jazz Festival
~ 2022 (Southern Lord) – Stil: Darkwave/Post Rock/Drone/Experimental ~
Trotz seines Namens hat das „Montreux Jazz Festival“ am Genfer See im Laufe der Jahre alle mögliche Arten von Künstlern und Bands beherbergt, und Anna von Hausswolff mitsamt Band gastierte dort 2018 auf Einladung von Nick Cave. Die Schwedin ist zweifelsohne eine Performerin von elementarer Intensität, ein Kanal für mächtige und mysteriöse Kräfte, und alleine ihre Stimme klingt so, als könnte sie jeden Moment den Himmel aufreißen. Die imposante und viszerale Erhabenheit ihrer Musik droht den Hörer geradezu zu verschlingen, und ihre Live-Auftritte sind gleichbedeutend einer dunklen Messe, die einen unentrinnbar in ihren Bann zieht. So erlebt bei ihrem sagenhaften Auftritt beim „Roadburn“ 2019, eines der klaren Highlights des letzten, real stattfindenden Gourmet-Festivals im niederländischen Tilburg.
Für Kenner ist Hausswolff jedenfalls ein zurückhaltendes künstlerisches Genie, deren Arbeit ebenso kühn wie introvertiert ist, und bei der hier vorliegenden Live-Aufnahme konzentriert sie sich ganz und gar auf ihre beiden wohl ehrgeizigsten Alben ´The Miraculous´ und ´Dead Magic´ von 2015 bzw. 2018. ´Live At Montreux Jazz Festival´ fängt AVH nun in bestechender Form ein, wobei die Live-Umgebung die Verbindung zu ihrer atavistischen Vision sogar noch hörbar verstärkt.
Der ätherische Gesang und das imperiale Zirpen ihrer Pfeifenorgel beim Opener ´The Truth The Glow The Fall´ führen uns schließlich unmittelbar ein, in ihre zugleich himmlische wie schmerzhafte Welt, wobei das Instrument zwar Vergleiche mit mittelalterlicher Kirchenmusik weckt, jedoch eindeutig aus seinem christlichen Kontext entfernt ist, um stattdessen als Kanal für heidnische Mythen und Träume zu fungieren.
´Pomperipossa´ bringt schließlich ihre andere Seite zum Vorschein, und es zeigt die schiere Intensität und Angst, die kaum ein anderer Künstler auf diese sowohl eindringliche wie göttliche Weise einfängt. Der Song ist ein albtraumhaftes Kraftpaket, das wie ein verwundetes Tier durch die Landschaft taumelt, und Hausswolffs Qualen fühlen sich hierbei spürbar in die Länge gezogen und ebenso mächtig wie jenseitig an. Das ist purer Gothic-Doom, wo dramatische Lärmsäulen bis ins Himmelsgewölbe reichen, um die Sonne auszublenden und uns in eine ewige Nacht zu tauchen.
Die martialische Percussion und die riesigen, läutenden Akkorde von ´The Mysterious Vanishing Of Electra´ wirken hingegen wie ein Industrial-Gebetsruf und erinnern vor allem an den Post Rock von Michael Giras SWANS.
Einen weiteren, unumstrittenen Höhepunkt bildet zweifellos der Set-Closer ´Come Wander With Me/Deliverance´, das sich von leisen Akkorden bis hin zu einem Tumult an hypnotischer Schwere entwickelt. Der Song ebbt und flutet bis zu seinem Finale hin und her zwischen kraftvollen Passagen und erdrückenden atmosphärischen Segmenten, und als das zweite Drittel einsetzt, senkt sich die Dunkelheit schließlich, und ein schwankendes, bassgetriebenes Thema rollt herein, etwas härter und ebenso langsam wie bedrohlich.
´Live At Montreux Jazz Festival´ ist für Neulinge sicherlich eine ideale Einführung in Hausswolffs dichte, geschwungene Musik – für die wahren Gläubigen ist es jedoch ein gesegnetes Sakrament zur Überwältigung einer viel zu gewöhnlichen Welt!
Pic: Gianluca Grasselli