PlattenkritikenPressfrisch

STEVE VAI – Inviolate

~ 2022 (Favored Nations/Mascot Label Group) – Stil: Instrumental Rock ~


Nun ist das zehnte Soloalbum von Steve Vai zur Stelle, um wieder einmal alle Griffbrettakrobaten schwindelig zu spielen und dabei traditionelles Gitarren- und Kompositionsspiel zu hinterfragen. Eigentlich arbeitete der Saitenmeister auf ein akustisches Solo-Album hin, doch als er von seinen drei gerissenen Sehnen in seiner rechten Schulter und einem Triggerfinger seines linken Daumens wieder genesen die Gitarre ergreifen konnte, hatte ihm irgendjemand 200 Tourdaten gebucht. Folglich musste das Akustik-Album hinten anstehen, denn Steve Vai wollte natürlich mit einer elektrisierenden Gitarrenvorstellung vor sein Publikum treten.

Obwohl der ehemalige “Stunt-Gitarrist” von Frank Zappa mittlerweile dem längst in die ewigen Jagdgründe aufgebrochenen Genie im Alter immer ähnlicher sieht, präsentiert der Saitenhexer mit ´Inviolate´ ein klassisches Steve Vai-Werk, dessen Vielfalt auch in dem jeweils gewählten Instrumentenhals liegt.

Den spannenden Latin-Fusion-Rock des Openers ´Teeth Of The Hydra´ spielt er auf seiner selbst erstellten Spezialgitarrenanfertigung “Hydra”, einer Gitarrenkreatur mit zwei Köpfen und drei Hälsen, geschmückt von mindestens sieben- und zwölfsaitigen Gitarren, einem viersaitigen Bass sowie Harfensaiten. Dagegen darf der ´Zeus In Chains´ die Zähne der Götter des Rock richtig zeigen, samt eines jaulenden Zwischenabschnitts und klitzekleinen Andenkens an Eddie Van Halen, während sich ´Little Pretty´ mit einer Gretsch-Hollowbody-Gitarre zum Chillout am Abend einen Fusion-Funk gönnt.

Des Nachts folgt ohnehin die ´Candlepower´, angesichts dessen Steve Vai eine Gitarrentechnik namens “Joint Shifting” entwickelt, bei der die Finger mehrere Saiten gleichzeitig biegen, aber ungewöhnlicher Weise in die entgegengesetzte Richtung. Selbst mit seiner neusten Ibanez PIA Signature-Gitarre fliegt er zu ´Apollo In Color´ durch die Wolkenmaterie. Äußerst heavy brodelt es sodann mit Schlagzeuger Jeremy Colson und Billy Sheehan am Bass in ´Avalancha´. Äußerst ungewöhnlich spielt Steve Vai einen angedachten Blues namens ´Greenish Blues´, da er sich selbst natürlich als aller letztes als Bluesman bezeichnen würde. Noch erstaunlicher spielt er ´Knappsack´ allein mit seiner linken Hand ein, da er seinen rechten Arm nach seiner Schulteroperation in einer Schlinge, in einem “Knappsack”, wie ihn sein Chirurg Dr. Knapp betitelte, stecken hatte. Im getragenen Astralnebel des ´Sandman Cloud Mist´ gleitet Steve Vai durch die Nacht – und uns davon.

(7,5 Punkte)


(VÖ: CD/Digital: 28.01.2022, LP: 18.03.2022)

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"