SILHOUETTE – Les Retranchement
~ 2022 (Antiq Records) – Stil: Blackgaze ~
Das kleine, aber feine “Antiq”-Label bevorzugt nicht nur französische, schwarze Töne, sondern hat sich vor allem auf Konzeptkunst im Sinne des stimmigen Zusammenklanges von Musik, Bildern und Attitüde spezialisiert. Ganz entsprechend dieser Ausrichtung bringen sie mit ´Les Retranchement´ nun ein sehr interessantes, weil tatsächlich innovatives und eigenständiges Debüt der südfranzösischen Band SILHOUETTE heraus, das Black Metal dem Shoegaze, hysterische DSBM-Vocals ätherischem Frauengesang und düsteren Blastoverkill atmosphärischen Passagen nicht nur gegenüberstellt, sondern kunstfertig im Spiel mit den daraus entstehenden Kontrasten verbindet.
Ursprünglich als Soloprojekt von Gitarrist und Songwriter Achlys entstanden, ist SILHOUETTE seit 2019 zu einem Sextett mit zwei Stimmen herangewachsen, bei dem Sängerin Ondine auch für die Lyrics sowie das passende Artwork verantwortlich zeichnet, vor allem jedoch, ganz ihrem Namen entsprechend, sirenengleich mit einer Klarstimme bezaubert, die in anderen Genrekonstellationen meinem Geschmack gar nicht entsprechen würde – ich komme nämlich mit dem, was man im Symphonicbereich landläufig Trällerelsen nennt, überhaupt nicht klar. Da Ondine jedoch niemals pathetisch wird oder gar schwülstig übertreibt, sondern ihr Ego sogar noch zurücknimmt und einfach nur ihre Seele die Stimmbänder führen lässt, hat ihr betörender Gesang den heilsamen Effekt reiner Schönheit, und ist damit das Yin zum nervenzerfetzenden Yang von Yharnams hohem (DS)BM-Kreischen.
Die musikalische Basis darunter erinnert gerade in den ruhigen, introvertierten Akustikgitarren-Passagen, naturgemäß auch durch den muttersprachlichen Gesang an AMESŒURS beziehungsweise ALCEST, deren ´Les Voyages De l’Âme´ dieser Tage zehn Jahre alt wird. Seelenreisen sind auch SILHOUETTEs Thema, und der erste richtige Song nach dem Intro heißt dann bezeichnenderweise auch ´La Première Neige´, hat jedoch einen Biss und eine Aggressivität aufzubieten, die weit über die Blackgaze-Pioniere hinausgeht, und eher an Post Metal-beeinflusste Bands wie OATHBREAKER erinnert, die genauso mit abrupten Stimmungswechseln und Kontrasten arbeiten, und natürlich auch an den ständig wechselnden Gesang von deren Caro Tanghe. Die Stücke sind komplex aufgebaut, doch immer einschmeichelnd, ich habe als Beispiel unten mit ´Au Seuil de l’Oubli´ ein eher ruhiges Beispiel ausgewählt, das gerade Ondines famose Sanges- und vor allem Interpretationskunst zeigt und eben auch, auf welchem kompositorischen und spielerischen Niveau sich dieses Debüt bereits bewegt. Der Titelsong dagegen überrascht mit einem klar gesungenen Duett beider Sänger, gibt dann jedoch Yharnam Platz für sein exaltiertes Kreischen, nochmal mehr dann der Black Metal-Brecher und komplexe Kernsong ´L’Etreinte de la Chute´.
Ein perfektes Debüt also? Der einzige kleine Kritikpunkt bezieht sich paradoxerweise auf das, was SILHOUETTEs Stil so einzigartig macht: der Sirenengesang verliert über den Lauf der LP etwas den anfänglichen Reiz, etwas mehr Variation der Stilistik und vor allem Dynamik würde den Hörer noch länger fesseln. Aber sonst ist dies eine klare Empfehlung und erhält daher
7,5 Punkte.
(VÖ: 28.01.2022)