LACRIMOSA – Leidenschaft
~ 2021 (Hall Of Sermon/Sony) – Stil: Sinfonic-Goth-Rock-Metal ~
LACRIMOSA begannen einst mit asketischem Klavier- und Synthesizer-Darkwave und brachten anschließend ihren sinfonischen sowie orchestrierten Sound in der Kombination aus Gothic Rock und Heavy Metal in epischer Breite zum Leuchten. Ein gewisser Hauch von Theatermusik haftete den überwiegend deutsch gesungenen Kompositionen ohnehin an. Dass aus den klassischen und sinfonischen Arrangements sowie der Ausdrucksweise von Maestro Tilo Wolff schon immer die pure Leidenschaft zu spüren war, entging bisher keinem Zuhörer und der mächtigen Anhängerschaft von Südamerika bis China. Obwohl die Leidenschaft bislang nur im Herzen wie ein Schild vor sich hergetragen wurde, ist sie über dreißig Jahre nach dem Debüt endlich zum Titel des vierzehnten Studioalbums von LACRIMOSA erkoren worden.
Bereits in der Eröffnung, gesungen von Tilo Wolff und seiner Partnerin Anne Nurmi, möchten LACRIMOSA liebend gern die Zeit zurückdrehen und gemeinsam aus der gegenwärtigen Welt fliehen. Sie stellen dabei grandios ´Liebe über Leben´. Keyboards von Anne Nurmi und Streicher des THE LACRIMOSA SESSION ORCHESTRA führen die Komposition in schiere Höhenluft. In vereinter Zweisamkeit drohen beide nicht mit “Sie werden dich nicht finden, niemand wird dich finden”, sondern zu rhythmisch agierenden Gitarren nüchtern betrachtet mit “Sie können uns nicht mehr erreichen”.
Mit harten Metal-Gitarren und entsprechendem Schlagzeug, immer von Stöckeschwinger Michael Mohr, durchbrechen LACRIMOSA die Stille des Pestjahres, “hier werden wir brennen”, und fragen sich, “wenn Werte dem Gesetz zum Opfer fallen”, wie die Kultur in diesen Zeiten überleben soll oder ob am Ende nur noch imposante ´Kulturasche´ übrig bleibt, denn “Menschen … verkümmern ohne Leidenschaft.” Daher lautet LACRIMOSAs Weckruf: “Wir schweigen nicht!”
Auch im fulminanten ´Augenschein´ singt Tilo Wolff von Masken und Solidarität, moniert in der saitenbebenden Komposition allerdings die Kluft zwischen den gewaltbereiten Menschen in unserer Gesellschaft und lässt natürlich persönlich die Gitarren aus der Isolation raus: “Die Gedanken – sie sind nicht mehr frei.” Zu Streichern und Akustikgitarre singt Tilo Wolff mit tiefer Stimme ´Führ mich nochmal in den Sturm´. Aber erst im Verbund mit dem Orchester beginnt die Kompositionen heftig an zu toben, um inmitten des Orkans zur Akustikgitarre zurückzugreifen: “Halt mich heraus aus der Welt, halt mich heraus aus dem Schmerz.”
´Raubtier´ ist der aufgekratzte und dramatisch-sinfonische Song mit harten Gitarren als auch Flötentönen über eine wild umschriebene, unbeantwortete Liebe. Dagegen ist ´The Daughter Of Coldness´ eines der englisch gesungenen Lieder, in dem die gebürtige Finnin Anne Nurmi singt, dass sie nicht mehr die “Tochter der Kälte” ist und nur noch bei ihrem Liebsten verweilen will, also bei ihrem Bandkollegen und Ehepartner, dem gebürtigen Frankfurter und Wahl-Schweizer Tilo Wolff. Das englisch gesungene Duett ´Celebrate The Darkness´ beginnt ebenfalls Anne Nurmi, ehe Tilo Wolff einsteigt, um gemeinsam den Schmerz zu feiern, am Ende sogar äußerst opulent.
Eigentlich sind jetzt, in diesen Tagen, allein ´Die Liebenden´ noch wunderbar grenzenlos frei, “Liebe macht frei!”, unheimlich schwerelos und leicht, denn “die Welt scheint jetzt komplett durchzudrehen” und “die Panik gibt den Ton jetzt an”. Und so tritt Tilo Wolff in einer Klavier-Ballade durch das goldene Tor in ein neues Leben, doch alles ist still und ´Die Antwort ist Schweigen´. Dennoch schließt er das Tor hinter sich zu, er nutzt “das Tor zur Freiheit”, er verlässt die Welt, erfüllt mit Zwietracht und Egoismus, und wählt den vibrierenden und fabelhaften ´Exodus´:
“Wir sind alle unterschiedlich.
Jeder ist und kann was anderes.
Nicht unterschiedlich um zu streiten.
Unterschiedlich um auszugleichen – zu ergänzen.
Doch diese Welt
Kann dies nicht sehen.
Ich dreh’ mich um
Und schließ’ das Tor.”
Mal für Mal, mit jedem Wort, mit jedem Ton ist die pure ´Leidenschaft´ eine äußerst theatralische und zeitkritische Sinfonie zwischen Licht und Finsternis, mit Hingabe und mit Bedacht zwischen Schmerz und Leid, Wonne und Wohlergehen, zwischen Weiß und Schwarz.
(8,5 Punkte)
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Pics: Schokopixel.de