IL ROVESCIO DELLA MEDAGLIA – La Bibbia 50th Anniversary

Mario Wolski14. November 2021

~ 2021 (Jolly Roger Records) – Stil: Italo Prog ~

Da habe ich aber Glück. Meine zwei PRI-affinen Kollegen haben dieses Juwel hier noch nicht entdeckt. Dabei sollten beide darauf steil gehen. Dafür bin ich ja schon länger von ROVESCIO DELLA MEDAGLIA kontaminiert, durfte ich doch schon ´Contaminazione 2.0´ besprechen.

Im Anfang waren viele Musiker, auch in Italien. Die fanden sich zusammen, gründeten Bands. PFM, BANCO DEL MUTUO SOCCORSO, LE ORME und eben auch IL ROVESCIO DELLA MEDAGLIA. Die gründeten sich 1970, deren Debüt, ´La Bibbia´, erschien 1971. Besonders war, neben dem Gros anderer italienischer Bands, RDM hatten keinen Keyboarder. Das brachte ihnen den Ruf als italienische BLACK SABBATH ein. 1972 folgte ´Io Come Io´, nach der Bibel beschäftigte sich die Band hier mit Friedrich Hegel. Näher an den sinfonischen Prog kamen sie mit dem Einstieg eines Keyboarders, mit dem der Drittling ´Contaminazione´ entstand.

Danach wurde es ruhiger, 1977 folgte die Auflösung. Erst in den Neunzigern versuchte Enzo Vita seine Band zu reaktivieren. Mit wechselnden Musikern entstanden mehrere Alben, so eben auch oben erwähntes ´Contaminazione 2.0´. Nun wurde zum 50. Jubiläum das Debüt neu aufgenommen.

Im Anfang war die Erde wüst und leer. Selbst der eingefleischteste Atheist wird zugeben können, die Bibel ist eines der größten Bücher der Geschichte der Menschheit. Selbst wenn man nicht jeden Satz unterschreiben kann, es dürfte für viele Leute sehr viele Dinge zu finden sein. Auch wer nichts mit Religion zu tun hat, wer setzt sich nicht auch einmal in eine Kirche, um die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen?

Im Anfang war das Wort. Und dieses Wort wird in Musik verwandelt. Dass im Anfang die Erde wüst und leer war, vertonen RDM mit dem Opener ´Il Nulla´. Aus einem Nichts bilden sich Geräusche. Töne schälen sich heraus, die sich zu Tonfolgen verbinden. Und dann, in ´La Creazione´ bricht sie durch, die Schönheit der Schöpfung. Licht, Sonne und Sterne, Pflanzen, Blumen und alle Tiere. Am Ende schließlich steht der Mensch, ein Haufen Lehm, dem Leben eingehaucht wird.

In der Fassung, wie ´La Bibbia´ nun vorliegt, klingt es fast absurd, RDM mit BLACK SABBATH zu vergleichen. Was auf der Fassung zum 50. Jubiläum zu hören ist, ist italienischer Prog, wie man ihn kennt und liebt. Voller Wärme und voller Dramatik. Feine Mitsingmelodien treffen auf vertrackte Jazz-Rhythmen. Gitarre und Orgel, manches Mal unisono, dann wieder duellierend. Da werden die Menschen gewarnt (´L’Ammonimento´), sich an Gottes Gesetze zu halten. Doch egal, ob biblisch oder nicht, die Menschen neigen nun mal dazu, Regeln zu missachten. Höhepunkt des sündigen Lebens ´Sodoma XY´.

Im Anfang waren jene Wände sicher weiß. Heute sind sie bedeckt von einigen der größten Kunstwerken der Menschheit. Da sind die muskulösen Figuren in Michelangelos dramatischem Jüngstem Gericht in der Cappella Sistina in Rom. Wie groß ist die Verzweiflung geschrieben in die Gesichter der aus den Gräbern Erweckten in Luca Signorellis Gerichtsbild in Orvietos Duomo. Man kann sich auch an das wilde Treiben in der Hölle erinnert fühlen, das Taddeo di Bartolo in der Collegiata in San Gimignano dargestellt hat und so manchen Horrorfilm inspiriert zu haben scheint. Darauf scheint ´Il Giudizio´ anzuspielen. Das sind Bilder, die ich vor meinem inneren Auge sehe. Schlussendlich wird mit ´Il Diluvio´ die Sintflut ausgelöst. Waren RDM damals so verzweifelt von sich, vom Leben, von der Welt, dass sie die Geschichte so dramatisch enden ließen? Oder ist die das gute Ende doch enthalten, dass die ausgesandte Taube zurückkommt, den Ölzweig im Schnabel tragend als Zeichen der Hoffnung und Versöhnung? Das zu deuten sei jedem Hörer selbst überlassen.

Im Anfang war die CD recht kurz. Mit knapp 30 Minuten ist das Originalalbum recht kurz bemessen. So gibt es, mittlerweile schon fast üblicherweise für Italo Prog, drei Songs in englischen Versionen. Obwohl an der Musik selbst sich nichts verändert, durch die andere Sprache verändert sich auch ein wenig die Stimmung. Ich für meinen Teil präferiere die italienischen Versionen. Und als nächstes hoffe ich darauf, das zweite Album von RDM auch in einer aktuellen Version genießen zu dürfen.

9 Punkte, da lasse ich oben noch Luft, falls ich das Original je vergleichen kann.