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ADLIGA – Vobrazy

~ 2021 (Independent) – Stil: Doom / Post Metal ~


Sowenig mir über die Metalszene in Belarus bekannt ist, dem Land, das als die letzte europäische Diktatur gilt, kann ich mir doch auf einen Bandnamen, der „Auftauen“ bedeutet einen Reim machen – den Menschen dort wäre ein solches in jedem Fall zu wünschen. ADLIGA liefern uns in der Zwischenzeit schwermütige Soundtracks zur bewegten Innenwelt von fünf Individuen aus der Hauptstadt Minsk, die sich nur folgerichtig in den düsteren Genregebieten abspielen, sprich zwischen schwerem Doom mit Sludgekante und atmosphärischem Post-Metal oszillieren, und gleichzeitig deutliche Anleihen bei progressiven und psychedelischen Geschmacksrichtungen in ihre komplexen Kompositionen integrieren. Heavy stuff mit Tiefgang, der dabei nie seine Herkunft verleugnet, sondern sie ganz im Gegenteil betont bis feiert, und damit eine völlig neue Note auf der metallischen Landkarte hinterlässt. Dass sich bei ADLIGA nach ersten englischen Anfängen mittlerweile alles in der Landessprache abspielt, ist da nur konsequent.

Liegt es also vielleicht auch nur an der melancholischen, slawischen Art, dass hier vor allem die dunklen Seiten des Lebens beleuchtet werden? Auf jeden Fall ist ´Vobrazy´ nun nach dem ersten Lebenszeichen der 2016 gegründeten Band, der träumerisch-sehnsuchtsvollen 2019er EP ´Kali Pacіače Nіeba´, die noch sehr im Dark Folk verwurzelt ist, ein starkes Statement einer Neuausrichtung zu einem deutlich härteren, aggressiven, gelegentlich auch resignativen, aber immer eigenwilligen, selbstbewussten und kraftvollen Stil, der mit seiner Vielseitigkeit bei gleichzeitiger Stringenz begeistert.

 

 

ADLIGA haben zwei Vokalisten, Rhythmusgitarrist Uladzimir Burylau growlt unheilschwanger im Wechsel mit Sängerin Kate Sidelova, die spätestens beim vorliegenden Debüt die volle Bandbreite ihrer Möglichkeiten ausspielt – und sie hat derer viele. Gerade ihr Gesang hat sich seit der EP stark verändert, weitgehend von den hohen Lagen und vom folkloristischen Stil verabschiedet, sie präsentiert sich heute wütend, verzweifelt, abgeklärt, mal keifend, mal dissonant schreiend, tief growlend, nur um gleich wieder ein Kaleidoskop an leidenschaftlichen Emotionen zu beschwören. Beim Track ´Naščadkam´ ist zudem Igor Kovalev mit seiner schmelzenden Klarstimme als Gastsänger dabei, zuerst bleibt unklar, ob nicht auch dies Kate ist, so umfangreich ist ihre Ausdruckskraft.

Wen diese klangliche Vielfalt prominenter weiblicher Stimmen an andere Bands erinnert – genau, sowohl die polnischen Kollegen im Genreüberschreiten OBSCURE SPHINX mit Zofia „Wielebna“ Fraś als auch die US-Sludger KYLESA mit Laura Pleasants können neben den üblichen Post-Metal-Größen als Bezugspunkte herhalten für eine Band, die zwischen slawischer Leidenschaft, hart-riffbetonter postmetallischer Struktur, doomiger Heavyness, progressivem Anspruch, schwarzmetallischer Wut und kühler Post Rock-Weite Songs schreibt, die sich zuerst ganz unauffällig ins Ohr schleichen, um dort umso nachhaltiger ihre gleichzeitig schmerzhafte wie kathartische Wirkung zu erzielen. ADLIGA täuschen uns: sie kommen bei aller Komplexität und Wandlungsfähigkeit scheinbar eingängig daher, nutzen dies jedoch als Vorwand, um unseren Verstand und vor allem unsere Seele langfristig zu besetzen und zu beschäftigen; aus dem Labyrinth ihrer Lieder mit vielen Wendungen, Windungen, Rätseln und Details findet man nicht so schnell wieder heraus.

´Vobrazy´ besticht dabei vor allem durch ein unkonventionelles, immer wieder auch ausuferndes, doch stets klares und nachvollziehbares Songwriting, das jeden Song zu einem eigenen Kapitel innerhalb einer übergeordneten, größeren Geschichte macht. Falls das jetzt alles sehr verkopft klingt – das ist es kein bisschen. ADLIGA machen kluge Bauchmusik, die gern auch mal in den Allerwertesten tritt, ihre ausgeprägte Erdung und Unaufgeregtheit sind ihre Kraftquellen, die fast schon stoisch agierende Rhythmusfraktion aus Bassist Roman Petrashkevich und Artem Voronko an den Drums hält das Ganze am Boden, während Leadgitarrist Ignat Pomazkov uns immer wieder daran erinnert, das Saitentremolos prägendes Element der osteuropäischen Folklore sind, und erst von dort aus den Black Metal unterwanderten. So viele unterschiedliche Einflüsse hat schon lange niemand mehr in einen ganz eigenartigen und unverkennbaren Stil verwoben…

Das Quintett hat zudem einiges in sein selbstveröffentlichtes Debüt investiert, was man auch am eindrucksvollen, künstlerischen Video unten sieht; und dass der Mix dieses Mal von Magnus Lindberg (CULT OF LUNA) übernommen wurde, bringt nochmals deutlich mehr Klarheit aber auch Dynamik in ihre von Kontrasten lebende Musik, und unterstützt den Schwedendoom-Touch.

ADLIGA sind damit ein absoluter Geheimtipp für alle unersättlichen metallischen Trüffelschweine, die das Ungewöhnliche suchen und sich mit alltäglicher Kost nicht zufriedengeben; ich für meinen Teil hoffe sehr auf einen Labeldeal für die Minsker, um die Band mit all ihrer Power ganz uneigennützig auch bald einmal live erleben zu können. Und bin gespannt auf alles, was wir von den Fünf noch hören werden!

(8 Punkte)

 

https://adliga.bandcamp.com

https://www.facebook.com/adligaband

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