D R O T T – Orcus
~ 2021 (By Norse Music) – Stil: Experimental / Prog Rock ~
Wer ein Cello hat, braucht keinen Sänger. Wer in einer Band spielt, die die Stilrichtung ihrer Alben wechselt wie andere die Unterwäsche, kommt mit Konstanz vermutlich nicht wirklich klar. Und wer den Metal-Spellemanprisen fünf Jahre hintereinander gewonnen hat, viermal mit seiner Hauptband, aber eben dazwischen auch einmal mit seinem sogenannten Spaßprojekt, kann ohne neue Herausforderungen wahrscheinlich gar nicht leben.
Was zum Teufel soll all das jetzt wieder heißen? Es lässt sich zumindest ganz einfach zusammenfassen: D R O T T. Was altnorwegisch soviel heißt wie „Herr“ im Sinne eines „Lord“. Und drei herrschaftlich-gestandene Musiker bilden entsprechend auch dieses einzigartige Trio, das sich der Kunst verschrieben hat, sich niemals zu limitieren; zumindest ist dies nach dem Genuss ihres Debüts kaum vorstellbar. Etwas gleichzeitig so entspanntes, bedrohliches wie visionär-abgefahrenes habe ich seit Jahren nicht mehr gehört… und ebenso schwer fällt es mir, Worte zu finden, die dieses Phänomen auch nur annähernd beschreiben. Ich wage zu behaupten, dass es D R O T T selbst genauso geht.
Das einzige, was hier wohl niemanden wundert, ist die Tatsache, dass diese neue Band aus Bergen stammt. Nirgends sonst als in Norwegen haben sich ehemalige Black Metal-Rabauken offenen Geistes weiter hinaus in fremde, ja exotische musikalische Gefilde gewagt und haben Bands scheinbar Unvereinbares wie Kammermusik, Trip Hop, Ambient, Folklore, Pop, Industrial, Post-Rock und Jazz zu großen, völlig neuen Gänsehautmomenten verbunden. Mit solch einer Geschichte im Rucksack sehnt man sich vielleicht danach, das Besondere nun im ganz Einfachen zu finden, gründet ein Instrumental-Trio aus besagtem Cello (dem Instrument, das der menschlichen Stimme am ähnlichsten ist), Gitarre und Percussions, verbindet all das mit etwas Bass und dem Zauber des Synthesizers und lässt die Inspiration fließen, wie die Nordsee die Fjorde mit Flut und Ebbe streichelt. Es ist eine naturschöne, fast zärtliche Musik, was nicht heißen soll dass es ihr an Kraft und Tiefe mangelt – sie hat es einfach nicht nötig, die Muskeln spielen zu lassen. Alle drei Protagonisten agieren gleichberechtigt, oftmals den Eindruck einer flüchtigen Improvisation vermittelnd, was auch durch die Stücke verstärkt wird, die mal mehr kurze Interludien sind, changierende Stimmungsbilder (´Caerdroia´, ´The Strait´, das superdüstere ´The Marauders´, zu dem es auch ein kongeniales Video gibt) und dann wieder vollendete Songs, wie der meisterhaft aus einer folkig-melancholischen Rhythmusstudie auf einmal förmlich entspringende Gute Laune-Dancefloor-Reißer (!) ´Katabasis´ oder das sich stetig wandelnde, mal betörende, dann wieder verstörende ´Psychopomp´, dem eine latent bedrohliche Stimmung innewohnt, die nur zwischenzeitlich einlullend aufgebrochen werden kann. Das durchgehend gepfiffene (!!) ´By The Lunar Lake´ wandelt zwischen Americana und asiatischer Folklore, eigentlich unmöglich zu verbinden, doch genau das ist, was D R O T T auszeichnet, aus einfachsten, völlig unaufgeregt eingesetzten Mitteln Scores zu widersprüchlichen, dunklen inneren Filmen zu erschaffen, die sich bei jedem Hörer anders zu individuellen Breitwandepen entwickeln.
Da sich hier niemand mehr etwas beweisen muss, können auch ganz einfache, an Kinderlieder oder Fingerübungen erinnernde repetitive Strukturen zu Songs erwachsen (´Grey Gull´), Matias Monsens Cello verleiht ihnen stets den Reiz des Besonderen, und ULVERs Ivar Thormodsæters sparsames, niemals effektheischendes Drumming bewahrt die entspannende Stimmung. Das ist Musik für ruhige Stunden, für tiefes Eintauchen und konzentrierten Genuss dieser unauftrennbaren vierzig Minuten sonischer Entführung. Ständige Wiederholung und Abwandlung kleiner Themen sind dabei die einzigen Konstanten in ´Orcus´, und nur Arve Isdal erlaubt sich ein paar spannungsreiche Extravaganzen auf seinem neuen Spielplatz neben AUDREY HORNE und ENSLAVED, seine Gitarre sticht heraus, wenn sie diese Geschichte von Naturmystik, Aberglauben und spiritueller Suche nach dem Licht in der Dunkelheit erzählt, wie in ´Arch Of Gloom´:
“At the end of a dark and bouncy road lies the Arch of Gloom. Through persistent bass and drums, Arch of Gloom is driven to the point of desperate collapse by a haunting guitar solo. Mesmerizing in its mystical attraction, it hypnotizes desperate souls into a surrealistic dance before they are lured down the abyss to face the verdict of Orcus.”
In Abwärtsspiralen dreht sich der Tanz auf dem Vulkan, und bietet damit ein Sinnbild einer Menschheit, die sehenden Auges in ihr Verderben taumelt. Man könnte sich einen deutlich schlechteren Soundtrack für den letzten Weg in die Unterwelt (´Orcus´) vorstellen als die lakonische, doch raffinierte Begleitung durch diese drei Norweger im Anzug, die unsere tiefsten Ängste und heimlichsten Sehnsüchte ansprechen. Vertraut ihnen! Sie meinen es gut. Meistens zumindest…
(7,5 Punkte)
https://drott.bandcamp.com/album/s-t
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VÖ: 24.09.2021