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LINGUA IGNOTA – Sinner Get Ready

~ 2021 (Sargent House) – Stil: Folk/Gospel/Noise/Experimental ~


LINGUA IGNOTAs ausgesprochen visionäres 2019er Album ´Caligula´ verband die Affinität einer Multiinstrumentalistin für spirituelle Forschung und Esoterik mit Oper, Metal und Electronica – ein Werk, in einer Atmosphäre gebadet, die zugleich verstörend und erhaben war. Der Bruch zwischen Gott und Satan als das bestimmende Element der Menschheitsgeschichte.

Kristin Hayters Arbeit war dabei in großem Maße von Göttlichkeit und Übertretung besessen und sie nährte mit dem Album eine Kultur der Frauenfeindlichkeit und des Patriarchats, die sich gegen sie selbst richtete und für sie selbst das Recht auf eine Gottheit beanspruchte, um blutige Rache zu gießen. Die ketzerische Macht von ´Sinner Get Ready´ sorgt nun erneut für eine intensive, provokative Erfahrung, ist rein musikalisch ebenso eklektisch und sieht die sogenannten Kräfte von Gut und Böse wiederum als untrennbar miteinander verbunden.

Hayters Häresie liegt in ihrer Darstellung einer unversöhnlichen Gottheit, die ihre eigene Schöpfung verabscheut und dabei jede Möglichkeit der Erlösung oder auch nur Versöhnung verweigert. ´Sinner Get Ready´ wiederholt, wenn auch weniger nachdrücklich, die bereits auf ´Caligula´ buddhistisch geprägte Behauptung, dass Leiden ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens ist. Untermauert von einer Menge Banjo, Percussion und minimalem Piano-Einsatz, ist beispielsweise ´Repent Now Confess Now´ ein Klagelied über die menschliche Zerrissenheit, mit Zeilen wie „Dieser Körper ist nicht dein Zuhause … keine Wunde, die so scharf ist wie der Wille Gottes.“

 

 

Die Palette des Albums ragt von nacktem Gospel und aufgeblähtem Appalachen-Folk bis hin zu Industrial- und Noise-Komponenten und bietet immer noch dieselben dissonanten Momente, in denen LINGUA IGNOTA ihre klassisch ausgebildete Stimme bis an ihre gutturalen Grenzen treibt. ´I Who Bend The Tall Grasses´ etwa ist nicht nur Liturgie als Aufruf an Arme, sondern macht auch Platz für zahlreiche Momente an bleibender Schönheit und Seligkeit.

´Perpetual Flame Of Centralia´ hingegen rückt ihre Faszination für Urteilsvermögen und Ausdauer noch direkter in den Fokus. Die klagenden Klavierakkorde und traurigen Streicher, die mit Hayters unerschütterlicher, resonanter Stimme duettieren, sorgen dafür, dass dies einer der schönsten Songs des Albums ist: eine Vision des Himmels, der auf dem Weg zur Hölle erblickt wird, und eine Andeutung, dass das Unvermeidliche immer noch bezwungen werden kann.

Kristin Hayter hat während ihrer gesamten Karriere bewiesen, dass sie ein eindrucksvolles Geständnis ablegen und es gleichzeitig mit einer ausgeprägten melodischen Linie auf verführerische Weise vortragen kann. Aber ihr wesentliches Talent ist die Fähigkeit, eine Reihe von psychologischen und spirituellen Zuständen gleichzeitig zu verkörpern und zu kanalisieren. ´Sinner Get Ready´ wird jedenfalls von einer durchdringenden Vorstellungskraft, einem übernatürlichen Gefühl für Empathie und einem ausgewiesenen Bewusstsein für die paradoxe Natur der menschlichen Existenz angetrieben.

(7,5 Punkte)

https://www.facebook.com/linguaignotamusic


(VÖ: 6.08.2021)

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