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Frank Schäfer – Krachgeschichten

~ 2021 (Zweitausendeins) – Stil: schwer metallische Kurzgeschichten ~


Krachgeschichten. Wer denkt da nicht sofort an die verkrachte Existenz des Musikkritikers, von dem man sagt, dass es mangels Talent nicht zur Künstlerkarriere gereicht hat, und dessen Frust darüber nun in Rezensionen fließt? Als ob er meine Gedanken kennen würde, steigt Schäfer genau mit dieser These in sein Vorwort ein. Natürlich um sie zu widerlegen, und damit hat er mich sofort:

„Genau, auch Texte über Musik können Literatur sein … Das ist die einzige Möglichkeit, wie man Musikkritik heute überhaupt noch ernsthaft betreiben kann … Die Plattenfirmen brauchen den Kritiker nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so wie früher. Na und? Deshalb soll man es nicht mehr machen? Im Gegenteil, wer es ernst meint, fängt jetzt erst richtig an.“

Also gar kein Buch über Metal, sondern ein Rechtfertigungs- und Motivationsaufsätzchen für die mittlerweile unüberschaubaren Massen an selbsternannten Tastenhelden, die rund um den Globus den Metal per Onlinekritik retten wollen?

Natürlich nicht. Wer Schäfers Vita (Geisteswissenschaftler, freier Autor, Musik-und Literaturkritiker mit Schwerpunkt Popkultur) und seine bisherigen Stationen kennt, die u.a. vom „Rolling Stone“ über „Neue Zürcher Zeitung“, „Neues Deutschland“, „Zeit Online“, „taz“, „Titanic“ bis zum „Rock Hard“ reichen, weiß: viel fundierter und auch trve metallischer wird es im deutschen Metaljournalismus nicht mehr. 1966 geboren, ist er Autor des ersten deutschen Metal-Romans „Die Welt ist eine Scheibe“, dem weitere solche, sowie diverse Sachbücher, Band-Biographien und noch mehr Anthologien und Essaysammlungen folgten. Er ist Herausgeber des von uns gefeierten ´Hear em all´ (siehe hier), und in all seinem Schaffen ist zu spüren, Metal ist seine Leidenschaft, in gewisser Weise auch sein Lebenszweck, er hat Hobby und Beruf aufs innigste verbinden können und genießt dies bis heute. Schäfer ist ein Urgestein, ein Szenedinosaurier, und genau diese Seinesgleichen sind entsprechend auch die Leser-Zielgruppe der ´Krachgeschichten´, nämlich, nehmt es mir nicht übel: der gealterte Heavy Metal-Fan.

Denn es geht sehr viel um bereits nicht mehr unter uns weilende oder eben alte Menschen, okay – meist alte Männer („Mädchen bekommen dieses Ding der Unmöglichkeit, das unrealistische Spinner gern als »Alterswürde« bezeichnen, doch noch irgendwie besser hin als wir mit dem Aktenzeichen XY.“). Mit Verlust an Haaren und so manchem mehr, dazu diversen altersbedingten Zipperlein, die teilweise sehr detailliert geschildert werden. So ausführlich, dass ich mich frage, ob man sich Sorgen machen muss um Schäfer, der grundsätzlich und mit großem Pedalboard für Verzerrung und Übertreibung ausschließlich aus der ureigenen Perspektive schreibt?

„Die Pflegekräfte hinter dem Tresen [beim Konzert im Hamburger Bambi Galore…] sind vorbereitet, sprechen laut und artikuliert und haben die Nachsicht eingebaut, wenn die Forderungen ihrer Patienten mal wieder allzu unverschämt werden. Als Stefan irgendwann einen Kaffee verlangt, weil er als Fahrer langsam mal damit anfangen muss, den Alkohol zu neutralisieren, schüttelt die Stationsschwester verständnisvoll, aber auch entschieden den Kopf. »So ein Getränk wird bei dieser Art von Veranstaltung sehr selten nachgefragt!«

 

Frank Schäfer, © Moritz Thau

 

Irgendwie ist das der komplette Gegenentwurf eines Coming-Of-Age Romans; man mag es Going-Into-Grave nennen, so viele wehmütige Jugenderinnerungen („Vater und Sohn“, „Lob der Bushaltestelle“) und Nachrufe sind hier versammelt. Zudem spielt das vergangene Corona-Jahr eine große Rolle in den neueren Texten. Die Stimmung ist daher, obwohl es leider gar nicht um Extremmetal geht, ziemlich durchgängig düster, ironisch bis sarkastisch, aber auch nostalgisch im „früher war alles besser“-Sinne. Und zwar nicht nur die Musik.

„Aber das gut 75.000 Menschen zählende Wimmelbild prägen eben doch die Herbstzeitlosen, Graubärte, Knittergesichter. Einer von ihnen bin ich. Auffällig viele lebenszeitbedingte Mönchstonsuren sieht man hier, Frisur-Rudimente oder gleich, weil nichts mehr half, Radikalschnitte. Immerhin, ein gutes Viertel des Publikums ist weiblich, und das hat irgendwie besser gelernt, damit umzugehen.“

Neben den üblichen Musiker- und Bandportraits, Plattenkritiken, Festival- und Konzertreviews, alles in seinem wie frischgezapften, sprich anregend lesbaren, typisch selbstironischen Stilmix aus prolligen Metalplatitüden und hochakademischer Schreibe, gibt es extrem viel Rückschau und alle Klischees bestätigende Geschichtchen aus den vielgerühmten 80ern („Das beste Jahrzehnt“). Im Gegenzug beleuchtet Schäfer, wie desolat es sich heutzutage um den Gesundheitszustand von Szene und Protagonisten verhält („Dritter Frühling“, „Weiße Strähnen“).

Zudem besucht er als schreibender Spesenritter solch spezielle Festivals wie die „Full Metal Cruise“:

»Betreutes Festival« hat Holger Hübner, Ideengeber und Mitveranstalter der Cruise, den Spaß mal genannt. Entsprechend hoch ist die Alte-Säcke-Dichte. Das Durchschnittsalter liege bei 41, pfeifen die Möwen von der Reling. »Kommt mir ehrlich gesagt höher vor«, grinst die PR-Managerin mich unverschämt an, wohlwissend, dass meine Alterskohorte den Schnitt ziemlich versaut.“,

das „Metal Hammer Paradise, (das) Festival für Altersruinen, die zwar nicht mehr so können, aber immer noch wollen.“, sein heimisches „Steel Held High“ in Braunschweig oder das alljährliche Hippiehappening bei Burg Herzberg, über das er ein eigenes Buch geschrieben hat. Wie so viele spielt er mit Kumpels im Coronajahr 2020 ein Festival, bei ihnen ist es Wacken, am entsprechenden Datum und wie es sich gehört mit Zelt und Grill nach, oder man feiert den „schätzungsweise 85. Geburtstag“ eines Kollegen, da Singen ja verboten ist, mit einer Spotify-Playlist ohne Ton, die mit geschlossenem Mund mitbrummend begleitet wird: “Ihr kennt den Kram doch sowieso in- und auswendig”. Die bedrückende Stimmung der apokalyptischen Pandemiezeit hat generell deutlichen Eingang gefunden in dieses Buch.

 

 

Frank Schäfer ist ein wenig aus der Zeit gefallen, grüßt grundsätzlich mit „Horns!“ und liebt die Klassiker, dass er Maiden-Fan ist zeigt schon der Titelschriftzug, aber vor allem haben es ihm Motörhead und AC/DC angetan. Zu letzteren gibt es diverse „Hidden Tracks“ mit Kurzkritiken ausgewählter „Unknown Classics“ der Band. Moderner ist da schon seine Lyrik zu persönlichen Themen, doch dementsprechend nicht weniger nostalgiegetränkt. Einige teilweise erstaunlich amateurhafte Bilder lockern das Buch auf, aber wahrscheinlich ist genau das als Gegensatz zu den teils doch recht verkopften Analysen so gewollt, dieses Unfertige, Improvisierte – DIY ist ja immer noch wichtiger Bestandteil der Szene, und Schäfer versucht als zwischen den proletigen Stühlen sitzender Akademiker immer die Balance zu halten, die Leser seiner absoluten trveness zu versichern und ihnen zu beweisen, dass er einer von ihnen ist. Meist passt daher auch die Kürze seiner Ausführungen zur Aufmerksamkeitsspanne dieser Klientel, es sind eben Stories, die sich folgerichtig besonders gut dort lesen lassen, wo der gemeine Metalfan sowieso schon seine ganzen Magazine und Fanzines liegen hat: auf dem Klo.

Die meisten Texte dieser Sammlung sind bereits in den oben genannten Postillen erschienen, zwei sogar im besagten ´Hear’em all´. Ob es geeignete Aufklärungstexte für szenefremde Leser sind, kann ich nicht objektiv beantworten, vermute jedoch, Laien amüsieren sich noch deutlich mehr als Meddler für diese leicht übersteuerten Milieustudien; Extremmetal-Fans würden sie dagegen maximal als Gruselgeschichten goutieren, denn ihre Genres und damit ihre Sichtweisen kommen hier schlicht überhaupt nicht vor – komplett blastbeatfreie Zone. Doch wer zur beschriebenen Altersklasse der Hard’n’Heavy-Freunde gehört, ist jetzt sowieso schon neugierig, und den metallischen Nachwuchs, für den die ´Krachgeschichten´ als eine Art Geschichtsbuch fungieren könnten, nimmt der mehrfache Opa auch gleich an die freundliche Hand:

„Das also ist die junge Metalszene, ein Haufen von Besserwissern, Schlaumeiern, verspulten Nerds. Nichts hat sich geändert. Großartig.“

 


 

 

 

´Krachgeschichten´ erscheint am 06.08.21 bei Zweitausendeins:

224 Seiten.

Fester Einband.

ISBN 978-3-96318-104-7

 

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