LOCH VOSTOK – Opus Ferox – The Great Escape
~ 2021 (Vicisolum Productions) – Stil: Progressive Metal ~
Wer gedacht hat, dass der heilige Gral des Progmetal von WITHERFALL und TERRA ODIUM dieses Jahr schon komplett geleert wurde, sollte sich ein größeres Gefäß suchen.
Entweder ist a) mein einfaches Gemüt leicht zu beeindrucken oder b) meine Begeisterungsfähigkeit hält auch nach einem halben Jahrhundert auf dem blauen Planeten unvermindert an oder c) ´Opus Ferox – The Great Escape´ ist schlicht und ergreifend wirklich so brillant wie ich es seit Wochen empfinde.
Gottseidank wähle ich Musik nicht anhand von Albencovern (wobei ich dieses gerade in unserem Zeitalter echt stark finde – manche schauen halt doch eher an „düster“ vorbei und greifen zu „farbenfroh“ oder “nackte Göttin”) und Namen aus. Denn da hätten LOCH VOSTOK wohl schlechte Karten gehabt. Schlechte Karten hatte ich diesbezüglich selbst bisher, wenn ich erfahre, dass diese Band bereits verflixte sieben Alben an mir vorbei herausgebracht hat. Damn! Vielleicht ist es auch umso besser, dass ich gerade rechtzeitig zum Magnum Opus in ihre Welt eingetreten bin. Jedenfalls ist es erfreulich, dass ich nun endlich auch unter den Wissenden bin, wenn es um diese bahnbrechende Mischung aus progressiver Härte und ausgefeilten Melodien geht.
In der Rubrik “wunderschönst ausgearbeitete Gesangslinien das Jahres” punktet der neue Mann Jonas Radehorn am Mikro, der einen dermaßen in den Bann zieht, dass noch nicht einmal die Growls des Bandchefs störend wirken, sondern im Gesamtkontext mit den Kompositionen perfekt passen. Traumhaft. Dahinter agiert die Band um Mastermind Teddy Möller (nicht verwandt und verschwägert mit dem legendären Teddy Herz – Anm. d. Verf.; aber mit Andy? – Anm. d. Red.) – der nach zwanzig Jahren den alleinigen Fronterjob aufgab – mit einer unvergleichlichen Musikalität durch Melodie, Heavyness, dezent akzentuierten Geschwindigkeitsattacken und bringt damit das Kunststück fertig, Eingängigkeit und Progressivität zu verbinden.
Von herrlich verfrickelten MEKONG DELTA-Stressparts zu betörend-schöner Harmonie sind die Übergänge fließend und geschehen absolut unvorhersehbar. Von Blastbeats und Black Metal zum progressive Ohrwurm mit sanften Keyboards und 80er Beat, der sich mit Doublebass und Stakkatoriffs paart (´Seize The Night´), sind es nur Sekunden. Mächtige Chöre umklammern schon von Beginn an ´The Freedom Paradox´, dezente Elektronik schmückt hier und da den Gesamtsound.
LOCH VOSTOK haben verstanden, welche unerreichten Melodien im New Wave und so vielem mehr zu finden waren und haben sie in ihrer Metallschmiede zu dem Schwert als auch der Waage der musikalischen Justitia geschmiedet. ´When The Wolves Have Eaten Everything´ zeigt eine gigantische, komplett kitschlose Breitbildepik auf und steht als Video nur exemplarisch für die unendlichen Gefühlswelten, die es zu entdecken statt zu analysieren gilt.
Ganz entfernt könnte man DISILLUSION (einer dieser wahnwitzig neuen Klassiker trägt gar diesen Namen), SOILWORK oder BEYOND TWILIGHT mit einer Melodiedichte der letzten BORKNAGAR anführen und auch die Lücke, die durch Warrel Danes Tod mit NEVERMORE entstanden ist und lediglich bisweilen von den zu wenig beachteten COMMUNIC weiter gehuldigt wird, schließt sich ein wenig, doch werden letztendlich alle Versuche eines Vergleichs scheitern und ich mache daher eine Ausnahme und zitiere den putzigen Pressetext, da er genauso viel oder so wenig passt wie meine Beschreibungen: “Where cheese meets grind. Where speed meets groove. The unholy child of EMPEROR and TEARS FOR FEARS, the bastard cousin of KING DIAMOND and KING’S X.” Na, alles klar?
Hehe. Dachte ich mir. Dann verlasst euch einfach auf eure eigene Meinung, auch wenn meine Trüffelohren euch prophezeien, dass ihr es hier mit einer der originellsten Bands des gesamten Metalgenres zu tun habt und ihr eine der interessantesten, innovativsten und am längsten glücklich machenden Scheiben des Jahres zu tun habt. Eine gigantische Flucht auf ein neues Level der Musikalität im Metal. Amen und Attacke!
P.S.: Die physischen Tonträger wurden auf 30. Juli dieses Jahres verschoben. Und werft die Flinte nicht gleich ins Korn, sondern vergleicht Preise! Das Warten darauf wird zu den schönsten Vorfreuden eures Lebens zählen.
Aus den Tiefen des LOCH VOSTOK musizieren für euch:
Jonas Radehorn – Gesang
Teddy Möller – Gitarre & Gesang
Niklas Kupper – Gitarre
Patrik Janson – Bass
Lawrence Dinamarca – Schlagzeug