ANGSTSKRÍG – Skyggespil
~ 2021 (Despotz Records) – Stil: Black’n’Metal ~
Es gibt grade einen tollen kostenlosen online-Dänischkurs hier auf youtube, perfekt für alle, die sich auch im Urlaub über die wirklich wichtigen Themen des Lebens mit den Einheimischen lieber in der Landessprache unterhalten. Man lernt dort Dinge wie Angstschrei (= der Bandname) oder Kniefall (=´Knæfald´), beides sehr nützlich, falls die Anrufung des Gehörnten (=´Lucifer Kalder´) misslingen sollte; oder auch Sozialkritisches wie „Lasst die Paläste brennen“ (=´Lad Paladserne Brænde´). Ist man dann schon gemeinsam am Anzetteln einer Revolution, wird auch der Gegenentwurf des gemütlichen dänischen Lebensart-Exportschlagers interessant (= ´Uhygge´), und – ganz wichtig für den Urlaub am Wattenmeer! – wie es sich anfühlt durch den Matsch geschleift zu werden (=´Slæbt Gennem Sølet´). So rundum perfekt vorbereitet sollten doch sehr interessante, da vor allem authentische Gespräche mit den Einheimischen möglich sein.
Diese Säcke…
Und wem verdanken wir nun diese Gratiseinblick in dänischen Humor? Einem ominösen Duo, welches, statt seine jeweiligen Identitäten preiszugeben, eine anrührende Saga über gemeinsame musikalische Sozialisierung unter den Fittichen eines ebenfalls geheim gehaltenen Mentors erzählen. Dass dieser ihnen beibrachte, wie man scheuklappenfrei und kreativ musiziert, sich ihre Wege dann jedoch trennten, bis sich nun in gesetzterem Alter das (un)happy end in Form von ANGSTSKRÍG verwirklichen lässt.
So laufen in den ästhetisch höchst wertigen Videos zwei komplett schwarze Männer durch monochrome dänische Wälder und an Küsten entlang, und die Metalwelt fragt sich, was zur Hölle die beiden dabei ständig mit sich herumschleppen? So wie o.g. Dänischkurs werfen auch die Musikvideos einen Schlagschatten auf den sehr speziellen Humor des Duos, von denen der mit dem Hut irgendwo in der skandinavischen Pampa Gitarre spielt und singt, während der mit dem Hoody das Schlagzeug bedient – wenn sie nicht gerade regungslos einem Basssolo lauschen. Für Soli (die sie nach eigenem Bekunden nicht selbst spielen können) haben sie auf befreundete Musiker zurückgegriffen, und dass dies keine unbekannten Namen sind, legt die Vermutung nahe, dass einer der Beiden wohl im Musikbusiness unterkam: die Gitarristen Attila Vörös (SATYRICON, SANCTUARY, TYR, NEVERMORE), Frédéric Leclércq (KREATOR, DRAGONFORCE), Sylvain Coudret (SOILWORK) und Tomas Elofsson (HYPOCRISY) haben auf ´Skyggespil´ virtuos soliert, und Mathias Lillmåns (FINNTROLL, CHTONIC; …AND OCEANS) Vocals zu ´Slæbt Gennem Sølet´ beigetragen, was die ganze Sache noch abwechslungsreicher macht als sie sowieso schon ist.
Nordic Black Metal
…nennen ANGSTSKRÍG selbst das Amalgamat, das einen frischen Wind in die Szene bläst, der so manch einen umhauen wird. Black Metal à la SATYRICON, DARKTHRONE aber auch SIGH ist der philosophische Kern der Sache, die Freiheit und Grenzüberschreitung, natürlich auch die sägenden Vocals, das Riffing, die Rohheit und teils eisige Kälte des Sounds; doch dass wir es hier mit Kindern der 90er zu tun haben, merkt man jede Sekunde auch durch den Crossover unzähliger anderer Einflüsse, die vor allem aus dem Thrash und Death Metal, aber ganz besonders aus dem klassischen Heavy Metal, Punk und sogar Prog Rock kommen. Da werden bekannte Riffs angerissen und umgedreht, von einem Moment zum anderen landen wir nur durch kleine Anspielungen in einer komplett anderen Zeit, einem völlig gegensätzlichen Genre, und das bestechende dabei ist, wie kohärent all dies zusammen funktioniert, nebeneinander bestehen kann und voneinander absolut songdienlich profitiert. Starke Kontraste, aber auch Grautöne in den vielen Emotionen machen es aus, dieses sehr durchdachte, dabei immer ironisch zurückgenommene Schattenspiel, denn genau bedeutet der Albumtitel.
Und dann dieses Songwriting! In sich wechseln die jeweils komplett eigenständigen Stücke beispielsweise vom technisch schrägen VOIVOD-Thrash zum räudig-fauchgeblasteten Black’n’Roller, dann wieder zum pianobegleiteten melancholischen Volkslied, um schließlich doch wütend zu enden (mein Favorit ´Uhygge´) – die ganzen Brüche machen die Sache unglaublich spannend und fesselnd. Oder die Dänen steigen akustisch ein, bauen einen imposanten zweite Welle-Brecher auf, nur um das Ganze gleich wieder durch Retro-Twingitarrenleads zu drehen, kehren dann zurück in den dunklen Wald und landen bei einer Black Folk/Melo-Death Party, um am Ende mit sanftem Klargesang in den Sonnenaufgang zu reiten (´Lad Paladserne Brænde´). Besonders faszinieren mich die doomigen SLAYER-Riffs zum Beginn von ´Slæbt Gennem Sølet´, das sich namensgemäß zum testosterontriefenden Sludgemonster entwickelt, um dann auch METALLICA die Ehre zu erweisen. Diese dänische Rotzfrechheit bei gleichzeitiger Virtuosität ist ein ungeheurer Spaß, all die Andeutungen zu entdecken und zuzuordnen eine Herausforderung und ein Höllenritt durch die gesamte Metal-Geschichte. MARDUK, MIDNIGHT, IRON MAIDEN oder MANTAR – wirklich alles ist dabei. Und jeder Song ist komplett anders als der vorige, sei es in Stimmung, Geschwindigkeit oder Spielweise, und damit haben ANGSTSKRÍG, passenderweise im Hikikomori-Studio von Frederik Brand Jakobsen, zum Pandemieausklang DIE Sommerplatte für jeden echten Metalfan abgeliefert. Der perfekte Soundtrack zur Grillparty am Strand oder dem kopfhörerbewehrten Sundowner auf Balkonia – die zwei schwarzen Männer sind immer bei euch. Und natürlich ihre Säcke.
“Imagine a blackened sound that claws at your very soul, a powerful, intense, swirling mass of energy emanating from your speakers, like the coming of the Four Horsemen of the Apocalypse heralding the end of the world. Except there’s only two of them, and they hail from Denmark.”
(9 Punkte)
http://www.facebook.com/angstskrig
…ein Interview zu ´Skyggespil´findet ihr hier!