TRIALOGOS – Stroh Zu Gold
~ 2021 (Exile On Mainstream) – Stil: Neo Doom Kraut / Experimental ~
Beim DEM Livestream-Festival dieser Pandemie, dem die Maßstäbe ganz hoch setzenden Roadburn Redux im April 2021, war ´Stroh Zu Gold´s Uraufführung einer der mitreißendsten Auftritte: TRIALOGOS‘ wirbelnde Energie erfüllte bei ihrem allerersten Auftritt das ehrwürdige UT Connewitz, und wurde filmisch so lebendig und dynamisch eingefangen, dass während der Übertragung wohl auf hunderten Sofas um den ganzen Erdball mitgewippt wurde, auch bei mir zuhause. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Magie eines der ältesten deutschen Filmtheater eine ganze Menge dazu beigetragen hat, diesen viel mehr als nur dreiteiligen Klangkörper zum Grooven zu bringen – beschreibt das Trio seine Musik doch selbst als „Breitwand Super 8 Klanglandschaften“ oder „cinematisch“. Man könnte auch sagen: Kopfkino, das selbst dann in die Beine geht, wenn man daheim vor dem Bildschirm sitzt…
…und entführt wird in ein Dreiergespräch unter Freigeistern, welches man sich gut am Strand von Sassnitz auf Rügen, unterm Sternenhimmel, gewärmt von einem behaglichen Lagerfeuer vorstellen kann – wenn die eigenen Gedanken funkengleich in alle möglichen Richtungen aufstieben, und die anderen sie aufnehmen, reflektieren, verändern und erneu(er)t teilen. Tatsächlich entstand das Konzept dieser Platte dort, wurde jedoch zuvor aus der täglichen Pandemie-Livestreamserie („Cleansing Drones For Locked Down Homes“) der beiden experimentell-elektronischen Musikschaffenden SICKER MAN und KIKI BOHEMIA geboren, einem musikalischen Dialog, der dem im Experimental Pop, Noise, und der Instant Composition verwurzelten Cellisten und Theater-/Filmmusikkomponisten und Produzenten, und der Musikerin, Sängerin und Sammlerin verlorener und gefundener Instrumente ihre neue, fast eremitische Lebens- und Arbeitssituation verarbeiten half.
„Immer ist für den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der Kork, der verhindert, daß das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt.“
(Friedrich Nietzsche – Also sprach Zarathustra)
Mit CONNY OCHS, dem ewig getriebenen, ruhelosen Barden, vielen bekannt aus seiner langjährigen Kooperation mit Doomlegende Scott “Wino” Weinrich (THE OBSESSED, SAINT VITUS, THE HIDDEN HAND…), war dieses dritte Puzzleteil gefunden und damit das Gespräch und gleichzeitig die Stilmittel erweitert, noch mehr hin zu einer kollektiven Sinnsuche und Innenschau, aber auch zur expressiven Verarbeitung der dabei aufkommenden Stimmungen und Gedanken. Die drei Multiinstrumentalisten schlossen sich in ihr Berliner Studio ein und spielten ´Stroh Zu Gold´ in nur drei Tagen ein.
Diese starke Konzentration, geboren aus dem isolierten Leben des Pandemiejahrs 2020, und gleichzeitig notwendige Improvisation in diesem Ausnahmezustand, in dem der Mensch ganz auf sich allein gestellt war, fließt ein und entfaltet sich in einer Platte, die sehr abwechslungsreich, lebendig ist und vor schierer Energie vibriert. Die ganz unterschiedliche musikalische Herkunft der drei bewirkt da sicher auch einiges, indem sie Grenzen und Hörgewohnheiten überwindet, und noch mehr Ebenen des Ausdrucks und der Interpretation öffnet.
Die gemeinsame Zeit auf Rügen scheint mir dabei der Ausgangspunkt zu sein, es geht um das seelengleiche, bewegliche und alles formende Element Wasser, um Strand, Sand, Gezeiten und Strömungen – Werden, Leben und Vergehen. ´Lavu Santu´ steigt entspannt, minimalistisch-digitale Klangflächen öffnend und mit einem Gefühl von kosmischer Weite ein, Cellosaiten werden wieder und wieder gestreichelt, ein sehnsüchtig verzerrter Bass seufzt, elektronische Walgesänge wabern unter der Oberfläche, die Wellen vom Ostseestrand des Covers rollen langsam und gleichmäßig ans Land, und aus dieser echoweiten Distanz kommt uns im Anschluss der Titeltrack schon deutlich beschwingter entgegen, wir grooven uns mächtig ein auf einen Beat, der in die Beine und zurück in die 70er geht, Düsseldorfer Tanzschule sozusagen, doch alle drei haben eine elektrische Klampfe in der Hand, so wie wir das lieben, trotzdem ist noch alles offen. Das ändert sich radikal mit dem ´Batdance´, aus Noise geboren, der mich an diese auf den Kopf gedrehten Infrarot-Videos aus Fledermauskolonien erinnert, in denen die Tiere scheinbar Goth-Style tanzen. Wisst ihr noch, wie das damals war in der Gruftidisco? Nur wenige Töne, die immer gleichen Schritte vor- und zurück, elektronisches Klatschen wie bei Anne Clark, wir sind in den kühl-kontrollierten 80ern angekommen – auch damals war der coole äußere Schein wichtiger.
Oder doch nicht? Es geht noch weiter zurück in der Zeit, wird philosophisch, oder besser, noch philosophischer. ´Il Terzo Sogno´ (= der dritte Traum) ist ein sommerliches Kammerstück über einem kosmisch-flirrenden Layer mit einer ganz zarten akustischen Gitarre. Bass und vor allem Cello experimentieren während Descartes träumt, und beim Aufwachen erkennt: „Cogito ergo sum! – Ich denke, also bin ich“. Passend zu den teils sehr wissenschaftsfernen bis -feindlichen Diskussionen in unserer Zeit erzählen TRIALOGOS vom Moment, als der Mensch die Schwelle zum vernunftbasierten Zeitalter überschreitet, indem er beginnt, scheinbar Gottgegebenes radikal zu hinterfragen und anzuzweifeln, und somit den Diskurs verschiedener Ansichten erst ermöglicht.
Für das Trio gilt jedoch noch mehr „Ludo ergo sum…“, sie erspielen und entdecken für sich im folgenden ´Mali:Berlin´ noch weitere Fernen, mit Tribalrhythmen, exotischer Percussion imitierten Naturgeräuschen, Tierstimmen aus Wüste und Savanne. Fremdartige Klänge umschmeicheln das Ohr, und einmal mehr wird deutlich, wie stark Musik uns auf innere Reisen schickt – ohne dass wir auch nur das Haus verlassen müssen. Der noisig-repetitive ´Rip Current´ reißt uns dagegen stampfend und bedrohlich hinaus ins offene Meer, wir kommen nicht gegen diese reißende Unterströmung an, die scheinbar alles vielfach rückgekoppelt übertönen will, und dabei selbst nicht aus der eigenen Haut heraus kann… Nachtigall, ick hör dir trapsen! Doch der erfahrene ´Wellenreiter´ schafft es, auch hier an der Oberfläche zu bleiben. Minimalistisch, melancholisch, doch diesmal sogar mit zurückgenommenen, fast brüchigen Post Punk-Vocals bauen TRIALOGOS einen Gegenentwurf zum zuvor gehörten Chaos auf, immer höher, immer eindringlicher wird die Spannung, bis die Welle (sic!) schließlich doch bricht.
´Hikikomori´ macht es dann rund. Die jungen Menschen, die sich überfordert von den Anforderungen der Umwelt in ihre Zimmer einschließen und alle echten sozialen Kontakte abbrechen, sind auf einmal ein Abbild von uns allen geworden – virtuell hängen wir seit langem schon an der Nabelschnur wie sie. Wollen wir so bleiben, oder zurückkehren in ein neues altes Leben? Die kommenden Monate werden es zeigen…
Live hat dieses musikalische Lockdown-Tagebuch die Zuschauer so sehr mitgerissen, dass die spezielle Roadburn-Vinyl-Edition noch in derselben Nacht ausverkauft war. Rumpelstilzchens scheinbar wertloses Stroh wurde unter diesen sechs Händen tatsächlich zu Gold, indem sie ein Gesellschaftsbild dieser Zeit vertont, und alchemistisch die Leere und Stille der Pandemie zu einem Manifest für Kreativität und künstlerische Resilienz verwandelt haben. Miteinander zu sprechen, sich wirklich auszutauschen und dadurch zu neuen Erkenntnissen und Lösungen zu kommen, das macht Mensch sein eben tatsächlich aus. Nehmen wir uns immer wieder die Zeit dafür!
(9 Punkte)
“What we hear in these “trialogues” is one word sounding through the other. Like in a doubly exposed photograph, the individual elements become both more ethereal and more defined. They touch and blend, align and dissociate at the same time and take on the remarkable capacity of ghosts: the ability to inhabit one another, one voice speaking through the other.”
(Kiki Bohemia, Berlin, March 2021)
https://www.trialogosofficial.com
https://www.facebook.com/trialogos/
(VÖ: 18.06.2021)